Leserbrief zur Diskussion um die Sterbehilfe vom 27.2.2020

Solidarität mit den Kranken und Lebensmüden

Das Urteil ist nicht zu übertreffen. Es sei ganz hervorragend, so der Gründer der Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas, Ludwig A. Minelli. Die obersten Richter Deutschlands hoben ein seit 2015 geltendes Verbot für geschäftsmässige Sterbehilfe auf. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben gilt nun auch in Deutschland. Ist dieses Urteil wirklich so hervorragend? Schauen wir genauer hin. Unsere moderne Wohlstands- und Wohlfühlgesellschaft will ein von Leid und Schmerz befreites Leben. Dass Leid und Schmerz zum menschlichen Leben gehören, wird nicht mehr akzeptiert. Oftmals unbewusst signalisieren wir leidenden Menschen, dass ihr Leben nicht mehr lebenswert ist. Diese empfinden sich dadurch als Belastung für ihr Umfeld und die Gesellschaft. Dazu kommt der zunehmende Druck, die Kosten im Gesundheitswesen möglichst tief zu halten. Statt sich mit den Kranken und den Lebensmüden zu solidarisieren und sie in ihrer Not zu unterstützen, ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind, dass ihr Leben weiterhin einen Wert hat, ziehen wir uns in unsere Wohlfühloase zurück und entledigen uns unserer persönlichen und gesellschaftlichen Verantwortung. Wir müssen dringend umdenken und uns von übertriebener Selbstverwirklichung und Individualismus befreien. Hören wir nämlich auf, uns für die Schwachen und Hilfsbedürftigen in unserem Umfeld einzusetzen, verlieren wir das Grundlegende unseres Menschseins, unsere Menschlichkeit, unseren Einsatz für den Nächsten. Die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke verkommt zu einer normalen Dienstleistung. Der frühere deutsche Bundespräsident Johannes Rau hat einst dafür plädiert, sich anstelle der aktiven Sterbehilfe der Schmerztherapie zu widmen. Die Förderung der Palliativmedizin ist das Muss der Stunde und ein klares Ja zu den Leidenden und Schwerstkranken. Es ist ein Ja zu mehr Menschlichkeit.