Leserbrief zum Artikel «Günstigere Kitaplätze per Gesetz» vom 10.1.2020

Wo bleibt das Wohl der Kinder?

Nach dem aktuellen Gesetzesvorhaben des Kantons St. Gallen sollen zukünftig fünf Millionen Franken jährlich direkt oder indirekt an Eltern fliessen, deren Kinder eine familien- und schulergänzende Kinderbetreuung besuchen. Der Kanton St. Gallen will dadurch Familien entlasten und die Mütter für den Arbeitsmarkt gewinnen. Doch wo bleiben die Familien, die ihre Kinder selbst erziehen und betreuen? Die scheinen bei diesem Gesetzesentwurf versehentlich vergessen worden zu sein. Oder vielleicht doch nicht so «versehentlich»? Eltern, insbesondere Mütter, die ihre Kinder selbst erziehen, werden heute oft «schräg» angesehen und müssen sich fast schon rechtfertigen, wenn sie die eigenen Kinder selbst erziehen. Staatliche Unterstützung erhalten diese Familien nicht. Elterliche Erziehung und selbst verrichtete Haushaltsarbeit erfahren in der heutigen Gesellschaft kaum mehr Anerkennung. Bringen aber die Eltern ihre Kinder in die KITA zur Betreuung und somit in professionelle Hände, dann ist Erziehungsarbeit plötzlich angesehen und wird von Staat und Gesellschaft wertgeschätzt. Diese unterschiedliche Sichtweise habe ich noch nie verstanden. Professionalität statt elterliche Liebe. Es besteht heute faktisch ein gesellschaftlicher Druck, die eigenen Kinder «wegzuorganisieren». Geht es hier überhaupt noch um das Wohl der Familie? Oder geht es hier letztlich um die wirtschaftlichen Interessen an mehr Arbeitskräften oder die staatlichen Interessen, das Steuervolumen durch zusätzliche Steuereinnahmen in Form der steuerpflichtigen Löhne der KITA-Erzieherinnen und Mütter zu vergrössern? Viele Familien haben aus finanziellen Gründen nicht die Wahl, zu entscheiden, ob beide Eltern arbeiten oder nicht, selbst wenn ein Elternteil lieber die Erziehung der eigenen Kinder übernehmen würde. Eine echte Wahlfreiheit für Familien sieht anders aus. Zudem wird ein Aspekt in der Debatte um Familienmodelle nicht diskutiert. Es geht um Frau, Mann, Unternehmen, Staat. Aber wo bleibt das Wohl der Kinder?