Leserbrief zum Artikel «Für die Schule kann diese Krise ein Segen sein» vom 26.3.2020

An der Realität vorbei

Es ist zwar richtig, dass die Digitalisierung in der Schule zu berücksichtigen ist, soweit stimme ich Herrn Hasler zu. Darüber hinaus ist seinen Aussagen zu widersprechen. Die Ergebnisse der bislang grössten Studie im Schulbereich, der John-Hattie-Studie, hat klar ergeben, dass der wichtigste Faktor für erfolgreichen Unterricht die Lehrperson ist. Diese Erkenntnis ist in Pädagogenkreisen hinlänglich bekannt. Tagtäglich erlebe ich als Lehrer, wie wichtig die Beziehungsebene, der aktive Austausch im und nach dem Unterricht für die Entwicklung der Schüler sowohl in fachlicher als auch in menschlicher Hinsicht sind. Wie aber soll eine solche Beziehung entstehen, wenn die Schüler hinter in ihren PCs sitzen und individualisiert ihre Aufgaben bearbeiten? Zudem die Frage, wie sollen die Schüler Sozialkompetenz in einem solchen digitalisierten Lernsetting erlernen, Eigenschaften, die für eine erfolgreiche persönliche und berufliche Zukunft wichtig sind? Es ist zudem realitätsfremd, wenn Herr Hasler schreibt, dass Kinder in einer digitalisierten Welt zu psychisch widerstandsfähigen Allroundern werden. Diese Eigenschaft lernen sie gerade in einer gelebten Beziehung mit Lehrperson und Mitschülern, in der man sich reibt, Grenzen testet, verhandelt und nach Lösungen sucht. Viele Schüler, vor allem schwächere, verlieren zudem jegliche Freude, sind demotiviert, wenn sie den Aufgaben vor dem PC überlassen werden. So entsteht auch kein Gemeinschaftsgefühl im Klassenverband, sondern die Kinder vereinsamen. Sie brauchen den Austausch mit anderen und das soziale Lernen im Klassenverband. Ein Schüler hat mir einmal gesagt, wie sehr er den Austausch in der Klasse schätze, so lerne er durch die Auseinandersetzung mit den Meinungen seiner Mitschüler auch zuzuhören und zu diskutieren. Gerade diese Fähigkeiten sind bedeutsam in einer demokratischen Gesellschaft, in deren Mittepunkt der Mensch steht, der sich aktiv am gesellschaftlichen und politischen Geschehen in unserem Land beteiligt.Die Digitalisierung ist nicht das Allheilmittel, weil es den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen nicht gerecht wird. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist der Garant für den Erfolg unserer Kinder.