Ein Aufruf zum Schutz unserer Kinder (8.3.2024)

Unsere Kinder wachsen im Zeitalter des Internets, der sozialen Medien und den damit verbundenen Möglichkeiten auf. Doch diese bergen oftmals verheerende Gefahren. Wie Eltern, Schutzbefohlene und Institutionen mit diesen (oftmals sehr schockierenden) Gefahren umgehen, wurde im Rahmen des Seminars „Kinderrechte in den digitalen Medien“ am 20. September 2023 beleuchtet. Erschreckendes, aber auch wichtige Überlegungen und hilfreiche Aspekte kamen dabei zum Vorschein.

Von David Scholl

Organisiert von Weblaw AG und der Anwaltskanzlei Bär & Karrer zeigten erfahrene und bekannte Praktiker wichtige Aspekte zum Schutz unserer Kinder auf, die wir vor sich selbst und den Gefahren im digitalen Zeitalter bewahren müssen.

Zunahme der Kinderpornographie

Thomas Werner, Leiter Ermittlungsstelle Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich, zeigte sich besorgt über den zunehmenden und immer früher beginnenden Pornographiekonsum der Kinder. Diese seien mit den Bildern und Filmen überfordert und verunsichert. Ein völlig falsches Bild von Sexualität setzt sich in den Kindern fest, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, so Werner. Gravierend sei auch, dass Kinder durch das Versenden von eigenen Bildern mit sexuellen Handlungen selbst Kinderpornographie herstellten, ohne dies zu wissen.

Generell ist ein Anstieg von Kinderpornographie im Netz zu verzeichnen. Hinter jedem Bild, jedem Film steht ein missbrauchtes Kind, sagte Werner deutlich. Als Gesellschaft müssten wir Verantwortung übernehmen, denn die Gesellschaft entwickle sich so, wie sich die Kinder entwickeln. Um diesen Missbräuchen und Gefahren entgegenzuwirken, ist eine starke (strafrechtliche) Repression die beste Prävention, betonte Werner.

In die gleiche Kerbe schlug auch Sarah Kunz von Hoyningen-Huene, Staaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Frauenfeld. Das Phänomen der Kinderpornographie habe klar zugenommen, was dazu führte, dass die Fälle teilweise nicht mehr strafrechtlich verfolgt würden. 80-90% der sexuellen Handlungen an Kindern werde im unmittelbaren Umfeld verübt. 25-50% dieser Kindsmissbrauchsfälle stamme dabei aus den sozialen Medien.

Flüchtlinge als Beute von Menschenhändlern

Auch der Menschenhandel ist eine gravierende Tatsache. Jährlich sind, so Kunz, 40 Millionen Menschen weltweit davon betroffen bei einem Umsatz von 120 Milliarden (mehr als Drogen und Waffen). Die Staatsanwältin verwies auch auf eine Meldung von Europol aus dem Jahre 2016, wonach in den beiden Jahren zuvor über 10‘000 alleinreisende Flüchtlingskinder unter Verdacht auf Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung verschwunden seien. Es ist eine eigene kriminelle Infrastruktur entstanden, die es auf Flüchtlinge abgesehen hat, stellte Kunz fest.

Hintergründe zu möglichen Tätern

Fanny De Tribolet, Leiterin Präventionsstelle Pädosexualität, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, beleuchtete in ihrem Referat die „Hintergrundfaktoren“ und die „akuten Faktoren“ bei Erwachsenen, die sexuelle Übergriffe auf Kinder ausüben. Zu den Hintergrundfaktoren zählten u.a. mangelnde Verhaltenskontrolle, Bindungsprobleme, Emotionsregulationsdefizite (Sexualität als „Frustregulator“) und Empathiedefizite. Verschlimmere sich der Zustand des Betroffenen und kämen dann noch akute Faktoren in Form von Zunahme von Stress, Depression und Einsamkeit bzw. Substanzmissbrauch hinzu, könne es bei Gelegenheit und Enthemmung zu einer Straftat kommen. Die Empfindungen wie Angst, Scham und Selbsthass im Nachgang zur Tat verstärken, so Tribolet, die akuten Faktoren, was eine erneute Tat begünstigen kann.

Damit es nicht zu solchen Übergriffen kommt, wurde die Präventionsstelle Pädosexualität geschaffen. Zielgruppen sind gemäss Tribolet Männer und Frauen, die unter ihrer sexuellen Präferenz oder ihren sexuellen Verhaltensweisen bezogen auf vor- und/oder pubertäre Kinder leiden bzw. fürchten, dass sie sexuellen Kindesmissbrauch begehen oder Missbrauchsabbildungen konsumieren können. Im Vergleich (Zeitraum von Juni 2021 bis September 2023) meldeten sich deutlich mehr Männer (98%) als Frauen (2%) bei der Präventionsstelle.

Gefahren in den digitalen Medien

Neben möglichen pädosexuellen Tätern, die z.B. mittels „Cyber-Grooming“ das Vertrauen der potenziellen Opfer auf Gaming-Plattformen oder via Tik Tok und WhatsApp erlangen wollen, stellen die digitalen Medien und das Internet für Kinder einige Gefahren dar, stellte Dr. Patrick Fassbind, Präsident der KESB Basel-Stadt, fest. Dies beziehe sich auf Inhalte (Gewalt und Pornographie), den freien Zugang (jederzeitige Verfügbarkeit, Auffindbarkeit) und die Dauer und den Zeitpunkt der Nutzung (Stichwort „frühkindliche Entwicklungsstörungen). Besonders problematisch seien (Cyber-)Mobbing, Posting und Sexting, worunter das Versenden selbst erstellter erotischer Texte und Bilder über das Internet, insbesondere über die sozialen Medien und mittels Smartphones zu verstehen ist.

Darüber hinaus besteht ein nie dagewesenes Suchtpotenzial beim Handy, wobei die Eltern eine wichtige Vorbildfunktion haben, die sie leider nicht wahrnehmen, sagte Fassbind. „Perfide“ Anreizsysteme in Apps (Snapchat, Tik Tok) und Spielen (z.B. FIFA, Fortnite, Pokemon go) begünstige die Entwicklung einer Sucht bei Kindern.

Herausforderung für die Eltern

Hier sind die Eltern besonders gefordert, um die Kinder vor negativen Einflüssen zu schützen, so der einhellige Tenor der Fachleute. Dass die Kinder nicht in diese Fallen tappen bzw. sich den Eltern gegenüber in Notsituationen öffnen, dafür braucht es eine intensive Beziehungsarbeit, die von klein auf beginnt und auch in der Pubertät unbedingt fortzusetzen ist, betonte Prof. Dr. habil. Monika Pfaffinger.

Regeln, Kontrolle und Erziehung sind in diesen Belangen unumgänglich, so Fassbind. Aus Bequemlichkeit werde Kindern als „perfekter Babysitter“ ein iPad zur Verfügung gestellt, um die Kinder still zu halten. Viele Eltern seien mit den sozialen Medien überfordert. Technische Massnahmen auf Handy und PC seien unumgänglich, um Kinder wirksam zu schützen. Die Kinder wüssten oft viel besser Bescheid als die Eltern.

Auswirkungen auf die Kinder

Besonders aufrüttelnd waren Fassbinds Ausführungen zu den Folgen. Viele Kinder litten durch den übermässigen Medienkonsum bereits an einer „Digitalisierungsverwahrlosung“, könnten sich nicht mehr konzentrieren und seien kaum mehr beschulbar. Die Kinder seien in verschiedener Hinsicht durch die digitalen Medien überfordert, sei es mit der Informationsflut, den Ansprüchen der Peer-Gesellschaft (Stil, Aussehen, Erlebnisse) oder mit dem Umgang mit Kritik. Die Dauerstimulation führe bei Kindern zu einer Reizüberflutung. Viele Eltern beschäftigten sich vor allem mit dem Handy, statt mit dem Kind zu interagieren, was aufgrund der fehlenden Mimik/Gestik enorme Folgen auf die Entwicklung von Kindern habe. Langeweile sei für Kinder kaum mehr ertragbar. Tik Tok/YouTube sei immer spannender als das Lesen und Zuhören in der Schule. Dadurch werde die (früh-)kindliche Entwicklung gefährdet und die Basis für die Verursachung von Entwicklungsstörungen gelegt. Zudem führten die gegenwärtigen Umstände zu kognitiven Veränderungen. Statt sich Wissen anzueignen und sich Dinge zu merken, entstehe die Generation „Google it“, die dauernd „nachschlagen“ müsse. Weitere negative Einflüsse auf die Kinder sind nach Fassbind: Internet- und Gamingsucht, Tag-Nachtumkehr bei Jugendlichen, Hyperaktivität, Stress (immer erreichbar), online Posting-Stress, digitales ICH, Parallelidentitäten auf Social Media (virtual activity), Depressionen, Suizidalität und Erschöpfung.

Besondere Sorgen bereitete Fassbind der Konsum von Pornographie bei Minderjährigen, der die Seele des Kindes schwerwiegend beeinträchtige. Gerade die Kombination von Pornographie mit der Sichtweise vieler Migrantenkinder auf Frauen habe verheerende Folgen auf das Frauenbild.

Was ist zu tun?

In der abschliessenden Diskussion waren sich die Fachleute einig, dass die Gefahren der digitalen Medien für die Kinder zu wenig ernstgenommen werden. Neben der wichtigen Aufgabe der Schule im Bereich der Medienkompetenz sei jegliche Unterstützung der Eltern und Kinder zur Meisterung der digitalen Herausforderung vonnöten. Eine Regulierung wie beim Alkohol wäre hier nach Fassbind dringend angezeigt, und dies im Sinne eines gesellschaftlichen und gesetzlichen Auftrags. Sein Appell wandte sich direkt an die Politik, die darauf hinwirken soll, dass industrielle Kindesschutzstandards (z.B. Handy und PC, bei denen das Herunterladen von Pornographie verunmöglich ist) gesetzlich geregelt und verbindlich umgesetzt werden. Es wird in diesem Bereich zu wenig getan, um unsere Kinder wirklich zu schützen, so das ernüchternde Fazit von Fassbind.

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Quelle: Magazin 2/2024, herausgegeben von Zukunft CH. Bestellbar unter 052 268 65 00 oder per Mail info@zukunft-ch.ch.