Von Siegfried Selcho und Ralph Studer
Wie in Teil 1 dieses Artikels dargelegt, besteht zwischen Vater und Sohn vor Eintritt der Pubertät ein inniges Verhältnis. Mit dem Eintritt in der Pubertät wird dieses innige Verhältnis unterbrochen. Gerade Kinder, die in der Pubertät zu Mann und Frau heranreifen, brauchen aber weiterhin die regulierende Beziehung zu ihren Eltern. Nur eben anders. Ihr Rückzug von den Eltern findet vor allem aufgrund einer kritischen Selbstreflexion des Jungen und durch ihre in der Pubertät wachsende Fähigkeit zur kritischen Reflexion ihrer Mitmenschen statt.
Die eigenen Vorstellungen überprüfen
Wie gesagt, ziehen sich Jugendliche in der Pubertät von ihren Eltern zurück. In diesem Zusammenhang kann es ratsam sein für Eltern, die eigenen Vorstellungen zu überprüfen, die sie als Grund für den Rückzug ihrer Kinder ansehen. Glauben wir, dass Jugendliche in der Pubertät gegen die Eltern handeln, ihre eigenen Regeln aufstellen wollen und nur darauf bedacht sind, bald die Koffer zu packen, dann ist Streit vorprogrammiert. Nicht aber, weil dieser den Grund in den genannten Dingen hat, sondern weil Eltern die Entwicklungserscheinungen und das daraus folgende Verhalten ihrer Kinder falsch interpretieren. Eltern hingegen, die sich in das innere Chaos der Kinder einzufühlen wissen und mit ihnen mitgehen, haben seltener zwischenmenschliche Konflikte auszutragen und werden daher von Kindern schneller als wirkliche Hilfe bei der Bewältigung des psychischen Umbaus in Anspruch genommen.
Totalbaustelle Pubertät
Um zu erkennen, wie wichtig Väter für ihre Söhne in der Pubertät sind, muss man sich nicht nur die vor allem in Teil 1 dieses Artikels beschriebenen Entwicklungen vor Augen führen, sondern ebenso die Tatsache, dass der Junge mit Eintritt in die Pubertät vor eine totale Veränderung gestellt wird. Pubertät meint ja, der Junge wird zum Mann. Blickt also der Junge jetzt in den Spiegel, dann erkennt er, dass er auf einmal ein anderer geworden ist. Gleichzeitig sieht er die anderen Jungs in seiner Clique oder Peer Group und vergleichend stellt er die Frage: „Ist meine Entwicklung normal?“, „Ist alles o.k. an meinem Körper?“, „Bin ich ein richtiger Mann?“ etc.
Aber nicht nur vom Körper her drängen sich dem Jungen Fragen auf, sondern auch von der Gruppe der Jugendlichen. Denn auf einmal sind da erotische Gefühle, man fühlt sich zum fremden Geschlecht hingezogen und der Junge fragt sich: „Bin ich für eine Frau attraktiv?“, „Werde ich vom fremden Geschlecht als Mann wahrgenommen?“, „Werde ich die Fähigkeit haben, eine Frau zu erobern?“, etc.
Darüber hinaus verändert sich in dieser Zeit oft das Klima in der Freundesgruppe. So ist jeder nicht nur mit sich beschäftigt, sondern ist auch mit dem oben beschriebenen – und eben veränderten Gehirn – unterwegs, was zu neuen Beziehungsverunsicherungen, vor allem im Alter zwischen 12 und 17 Jahren führt. So beobachtet man, dass Jungs durch die Peer Group in Stress kommen. Denn – bedingt durch die Hirnreifung und die Wahrnehmung eigener Schwächen, die evtl. durch die körperliche Veränderung noch verstärkt werden können – will man nicht anecken und auffallen. Man passt sich daher an Regeln an, man unterwirft sich manchmal auch radikalen Ansichten und Gedanken oder einem bestimmten uniformen Verhaltenskodex. All das hilft dem Jungen zwar, seine innere Verunsicherung zu kompensieren, macht aber auch Stress. Denn – anders als früher – spielt man nicht mehr einfach miteinander, sondern man ist ständig mit Anpassung beschäftigt und mit der Frage: „Wie wirke ich auf andere?“, „Nehmen mich andere an, wie ich bin?“, etc.
Die Liste könnte nun noch um die kulturellen Anforderungen erweitert werden, die zum Beispiel von Seiten der Eltern oder der Schule auf die Jungen zukommt. Dort wird nämlich erwartet, dass der Junge „jetzt endlich“ erwachsen und damit „vernünftig“ ist. Es wird von ihm Einsicht erwartet und der engagierte Einsatz für das eigene Erwachsensein. Zwischen 12 und 17 Jahren ist der Junge dazu aber noch gar nicht recht fähig. Zu sehr ist er damit beschäftigt sich, seine Gefühle, die Beziehung zu seinem Körper und das Verhältnis zu anderen Menschen zu sortieren. Die Vernunft und vor allem der Umgang mit den vielen Gefühlen, mit Ängsten und Enttäuschungen, aber auch mit den Hoffnungen, die sich mit den neu gewonnen Kräften des Denkens und des Körpers (so nimmt der Junge ja deutlich an Muskelmasse und Kraft zu) verbinden, ist ihm nicht immer möglich.
Hier spätestens sollten Väter merken: Sie sind auch weiterhin nicht aus der Aufgabe entlassen, dem Jungen zu seiner inneren Einheitlichkeit zu verhelfen und ihn hinsichtlich seiner Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Ängsten etc. zu regulieren.
Jungs brauchen ihren Vater – vor allem in der Pubertät
Für Väter ist wichtig zu verstehen, warum sich die Beziehung zum Jungen verändert. Selbstkritisch sollte sich der Vater daher fragen, welcher Deutung er der „Pubertät“ gibt und welche Interpretation er den Handlungen seines Jungen unterstellt. Folgt er der Meinung, dass sich Jungs mit Beginn der Pubertät von der Familie lösen und dass jede kritische Rückfrage und jeder Gefühlsausbruch seines Sohnes eine Rebellion gegen die elterlichen Werte ist. Oder folgt er der hier geschilderten Theorie von der „Totalbaustelle Pubertät“, die keiner spekulativen Theorie entstammt, sondern der wissenschaftlichen Forschung.
Wir plädieren für letzteres, was zu neuen Chancen der Begegnung zwischen Vater und Sohn führen kann. Nur wie können diese Begegnung angesichts der Tatsache aussehen, dass der Sohn in sich verunsichert ist, Beziehungen weniger traut und er sich deshalb öfter als gewohnt zurückzieht und damit weniger präsent ist?
Pubertät – eine neue Chance für Vater und Sohn
Diese Phase der Pubertät kann für Vater und Sohn zu neuen Chancen der Begegnung führen. Nachfolgend sollen hierzu einige Tipps gegeben werden:
- Eine gute Beziehung bleibt eine gute Beziehung
Zunächst sollten sich Väter eines klar machen: Eine gute Beziehung verschwindet nicht mit Eintritt in die Pubertät. Aber sie verändert sich. – Haben Vater und Sohn gemeinsame, natürliche Begegnungsmöglichkeiten vor der Pubertät aufgebaut, in denen sie quasi „spielerisch“, jenseits von Alltagsaufgaben, Schulleistungen etc., zusammenfinden, dann kann daran mit Eintritt der Pubertät festgehalten werden. Allerdings sollte ein Vater bereits rechtzeitig vor der Pubertät darauf achten, dass die Aktion eher der erwachsenen Männerwelt entstammen. Spiele, Basteleien, Unternehmungen der Kindertage werden vom nun zum Jugendlichen gewordenen Jungen als „kindisch“ abgetan. Nicht weil sie unbedingt kindisch sind, sondern weil man dabei von anderen gesehen werden könnte.
Aktionen, die sich daher eignen, sind der gemeinsame Besuch im Fussballstadion, jede Form des gemeinsamen, aber herausfordernden Sports, wie der Besuch eines Fitness-Studios, das gemeinsame Joggen oder Laufen, das Klettern, das Bogenschiessen, der Besuch eines Schützenvereins etc. Wichtig dabei ist, dass der Sohn sich durch die Unternehmung in seinem Mannsein angenommen fühlt.
Es ist wichtig, dass solche Aktionen nicht die Vater-Sohn-Beziehung ausmachen, sondern dass der Vater dort insbesondere die Möglichkeit hat, dem Sohn an einem Ort begegnen zu können, an dem alle Anforderungen des Alltags in den Hintergrund rücken.
- Seien Sie der sichere Hafen und suchen Sie nach Ankerplätzen
Ein Vater sollte zwei Dinge beherzigen: Er sollte in sich die Gewissheit bewahren, dass er ein entscheidender Beziehungspartner für den Sohn ist, d.h. dass der Sohn die Beziehung zum Vater braucht. Und dass Söhne aufgrund ihrer inneren Verunsicherung Öffentlichkeit – selbst die Öffentlichkeit beim sonntäglichen Mittagessen – meiden. Denn für ihn droht überall Peinlichkeit und Scham.
Wenn Väter diese beiden Dinge als Gewissheit in sich aufnehmen, dann bestätigen Sie sich in ihrer Vaterrolle selbst, in dem Sie sich sagen, dass sie der sichere Hafen für den Sohn sind. Die Frage ist nur, was genau ist ein sicherer Hafen. Hierzu ist es ratsam, nach den Orten Ausschau zu halten, wo der Sohn vor Anker geht. Was ist damit gemeint? Da – wie gesagt – Söhne Öffentlichkeit wegen drohender Peinlichkeit scheuen, muss man nach den Gelegenheiten im Alltag Ausschau halten, bei denen ein zwangsloses Gespräch zwischen Vater und Sohn einfach passiert. Eine gute Gelegenheit ist oft der Abend oder die Zeit vor dem Zu-Bett-Gehen, wenn man zwanglos gute Nacht sagt. In solchen Zeiten wird der Türrahmen, in dem der Vater dann steht, oft zum Ort für tiefe Gespräche. Andere Orte stehen oft in Verbindung mit den Dingen, die unter 1. genannt sind: Wenn man vom Stadion nach Hause fährt und über die Erlebnisse dort redet. Oder wenn man mit seinem Sohn über dem Trainingsplan für das Fitness-Studio brütet. Oder wenn man gemeinsam eine Kletterroute ausknobelt und hinterher gemeinsam über Erfolg und Misserfolg redet.
Wenn Sie bislang eine gute Beziehung zu ihrem Sohn hatten und wenn Sie in ihrer Familie die Kultur eines offenen Austausches pflegen, dann wissen Sie um diese Ankerplätze. Suchen Sie ihren Sohn genau dort auf und gehen Sie mit ihm ins Gespräch.
Ausblick:
Weitere Tipps für die Väter finden Sie in Teil 3, dem letzten Teil dieses Artikels.