Söhne brauchen Väter (Teil 3)

Von Siegfried Selcho und Ralph Studer

Kurzer Rückblick auf Teil 2:

Mit Eintritt der Pubertät verändert sich das Leben des Jungen grundlegend. Der Junge soll zum Mann werden. Starke Gefühle der Selbstverunsicherung und Veränderungen im Freundeskreis fordern den Jungen heraus. Körperliche und psychische Entwicklungsaufgaben sind zu bewältigen. Vom Jungen wird erwartet, dass er «jetzt erwachsen» und «vernünftig» werden soll. Der Vater ist gerade in dieser Phase für den Sohn eine unentbehrliche Bezugsperson, die ihm hilft, seine Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Ängste zu regulieren. 

 Pubertät – eine neue Chance für Vater und Sohn

Nach den ersten beiden Tipps in Teil 2 dieses Artikels folgen hier weitere Anregungen und Hinweise:

  1. Das Gespräch: Der Sohn braucht einen Teil vom Vater

Mit einem Jungen zu sprechen, der in sich ein gewisses Chaos erlebt, ist allerdings nicht ganz so einfach. Man darf dabei nicht auf die Eins gehen, wie man so schön sagt. D.h. man darf das Thema, über das man reden will, nicht sofort in Verbindung bringen mit dem Erleben des Sohnes. Denn jede direkte Verknüpfung mit dem Leben des Sohnes kann das innere Chaos des Sohnes befeuern und stellt den Sohn vor emotionale Bäume, die den Blick auf den Wald verstellen.

Gehen Sie anders vor. Jugendliche reagieren besonders gut auf Geschichten von Menschen, die nichts mit ihnen selbst zu tun haben. Man spricht hier von der Drittpersonperspektive. Es ist daher günstig, wenn Sie als Vater über sich selbst reden. Über das, was Sie in der Jugend erlebt haben, über Kämpfe, die Sie ausgefochten haben, über Schwächen, die Sie bewältigen mussten etc. Das Motto dabei ist: Geben Sie ihrem Sohn etwas von sich und ihrer Geschichte.

Gibt es bereits einen in der Kindheit angelegten Gesprächsfaden zwischen Vater und Sohn, dann schwenkt der Sohn auf solche Erzählungen gern ein und stellt seine Fragen. Er tut das meist aber nicht direkt, sondern eher indirekt. Zum Beispiel fragen Söhne: „Wie ist das bei anderen Männern, wenn die solche Probleme haben…“ Oder: „Kann man generell sagen, dass Männer mit Problemen immer so umgehen, wie du es erzählst!“ Als Vater sollte man dieses indirekte Reden, bei dem man nie so richtig weiss, welche Frage der Sohn eigentlich bewegt, akzeptieren. Vertrauen Sie darauf, dass ihr Sohn aus dem, was Sie sagen, die richtigen Schlüsse zieht. Oft erzählen Väter, die solche indirekten Gespräche mit ihren Söhnen führen, dass ihr Junge einige Tag nach dem Gespräch mit einer Erkenntnis auf sie zukam. Solche Erkenntnisse bringen Väter manchmal zum Staunen. Zeigen Sie ihrem Sohn das auch! Und bitte: Auch wenn die Weisheit, die der Sohn durch eigenes Nachdenken errungen hat, noch unfertig erscheint, verzichten Sie darauf, gleich nachzubessern. Bestätigen Sie ihren Sohn in dem, dass er zu einer guten Erkenntnis gekommen ist.

Eine Ergänzung: Es ist übrigens von hoher Wichtigkeit, dass Sie ihrem Sohn etwas von sich geben. Denn bereits kleine Kinder ergreifen dann die hilfreiche Hand ihrer Eltern und schenken ihnen Vertrauen, wenn sie spüren, dass ihre Eltern mit ihnen fühlen. Achten Sie daher in dem, was Sie ihrem Sohn von sich geben, darauf, dass Sie ihm etwas von den vielen Fragen zeigen, die auch Sie während ihrer Pubertät bewegt haben. Denn Söhne gewinnen durch eine solch innere Geschichte nicht nur Vertrauen, dass auch sie den Kampf der Pubertät bewältigen können, sondern sie wissen dadurch, dass sie vom Vater verstanden werden.

  1. Ihr Sohn braucht Sie

Nun gibt es nicht nur Väter, denen bereits in der Kindheit ein guter Draht zu ihren Söhnen gelungen ist. Es gibt auch solche, denen dies nicht gelungen ist und die in Gefahr stehen, sich mit Eintritt in die Pubertät noch mehr aus der Beziehung zurückzuziehen. In Familien, in denen die Vater-Sohn-Beziehung schwach bis gar nicht ausgebildet ist, kommt es oft zu Konflikten und bei genauem Hinsehen fällt auf, dass nicht Vater und Mutter sondern der Sohn über die Atmosphäre, das Verhalten und die Regeln des Zusammenlebens bestimmt.

Väter, die sich – verschuldet oder unverschuldet – in einer solchen Situation befinden, sagen oft, dass sie die Chance auf eine Beziehung zu ihren Kindern verpasst haben. Das aber ist falsch. Denn Tatsache ist, dass der Sohn gerade jetzt, im Chaos seiner Pubertät, den Vater mehr braucht als zuvor.

Wen Sie sich in einer solchen Situation befinden, dann werfen Sie die Flinte nicht ins Korn. Ordnen Sie ihr Verhältnis zu ihrem Sohn vor Gott, gehen Sie zur Beichte und kehren Sie zu ihrer Verantwortung als Vater um. Wie aber soll das geschehen, wenn Ihnen der Sohn die Türe vor der Nase zugeschlagen hat oder wenn er sich in seinem Zimmer vergräbt wie in einer Höhle? Ganz einfach: Öffnen Sie die Türe und setzen Sie sich in das Zimmer ihres Sohnes und erklären Sie ihm, dass Sie einen großen Fehler begangen haben. Sie fragen welchen? Ganz einfach: Den, sich aus dem Leben ihres Sohnes herausgehalten zu haben!

Auch wenn sich ein solches Vorgehen kurios anhört, es zeigt selbst bei widerständigsten Jungs dann Wirkung, wenn Sie nachhaltig sind und dem Sohn erklären, dass Sie die Regeln machen und dass Sie ihn herausfordern, mit ihm über die Regeln des Zusammenlebens zu verhandeln. Um dieser Tatsache Nachdruck zu verleihen ist es gut, wenn Sie sich als Vater so lange im Zimmer ihres Sohnes festsetzen, bis er einen verbindlichen Zeitpunkt angibt, wo er mit ihnen über solche Regeln redet.

Sicher ist ein so starkes Auftreten nur bei Jungs nötig, die ihre Regeln der Familie auf-diktieren oder die sich spielsüchtig in ihrem Computer verloren haben, zur Sucht neigen oder stark verhaltensauffällig sind. Eine Orientierung für Väter, die den Draht zu ihrem Sohn verloren haben, ist dieses Erziehungsverhalten aber trotzdem. Vor allem soll es ihnen vermitteln: Sie sind der Vater und derjenige, der dem Sohn durch die Pubertät helfen und ihm Orientierung geben kann. Sie als Vater haben diese wunderschöne und gleichzeitig herausfordernde Rolle. Der Sohn hat sonst keinen Erwachsenen, den er Vater nennt und der ihm helfen könnte.

  1. Beachten Sie die Emotionen

Bei Konfrontationen, wie im letzten Punkt skizziert, oder anderen Katastrophen, wie Niederlagen, Stress in der Clique oder mit dem anderen Geschlecht, kann es in einem pubertierenden Jungen schon einmal zu emotionalen Explosionen kommen. Jungs schlagen dann schon mal gegen die Wand oder kicken etwas in die Ecke, dabei geht auch schon mal was zu Bruch. – Mehr aber als die Frage, wer ersetzt das Beschädigte, sollte sie die Frage beschäftigen, wie gehe ich mit den Emotionen meines Sohnes um? Wie begegne ich ihnen?

Hierzu sollte man wissen: Im Moment, in dem Ihr Sohn Emotionen zeigt, ist innerlich eine Katastrophe passiert. Ich sage bewusst innerlich, denn meist zeigt ein Blick auf die Realität, dass die Dinge nicht so schlimm sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Ihrem Sohn allerdings ist dieser Blick aufgrund seiner Gehirnentwicklung, der Schwierigkeit sich und andere richtig wahrzunehmen und der großen Verunsicherung, wie er von anderen gesehen wird, nicht einfach möglich. Daher braucht er ihre Hilfe.

Wenn aber die Emotionen auf 180 sind, ist Hilfe nicht möglich. Das ist die erste Lektion, die Väter verstehen sollten. Daher gestehen Sie ihrem Sohn zunächst ein, dass er starke Gefühle hat. Wenn Sie merken, dass er vor Wut schäumt, schicken Sie an einen Ort, an dem er nichts kaputt machen kann und erlauben Sie ihm, seine Gefühle erst einmal abzubauen. Vertrauen Sie, dass ihm Ihr Verhalten langfristig hilft, seine Emotionen zu regulieren.

Wenn er sich dann beruhigt hat – und da können einige Stunden vergehen – ist es gut, an einem der sicheren Ankerplätze (siehe oben) nachzufragen, was denn genau passiert ist. Söhne haben dabei oft die Angewohnheit, die Sache zu bagatellisieren. Seien Sie aber nachhaltig und fragen Sie einfach, was ihn aufgeregt hat. Weiht Ihr Sohn Sie dann in das Geschehen ein, dann haben Sie nicht die Erwartung, ein psychologisches Gespräch mit ihm zu führen. Denn damit dringen Sie in den Sohn ein, decken seine innere Verunsicherung auf und beschämen ihn vielleicht. Das Ergebnis solcher Gesprächsversuche ist meist Schweigen oder gar neuer Konflikt.

Warum das so ist? Menschen, die in ihrer Person stark verunsichert sind, wollen sich nicht auch noch von anderen sagen lassen, wie sie funktionieren sollen. Sie wollen das selbst entscheiden.  Die beste Methode in solchen Situationen ist daher das Spiel über die oben bereits erwähnte Drittpersonenperspektive. Hierbei können Sie sich selbst ins Spiel bringen. Was meist deshalb einfach ist, weil Ihr Sohn ihnen vermutlich etwas erzählt, das Sie selbst sehr gut kennen. Vermutlich haben Sie daher ein eigenes Beispiel aus ihrem Leben, in dem Sie ein ähnlicher Konflikt verunsichert hat und den sie selbst vermutlich auch erst nach längerem Ringen gelöst haben. Wenn Sie eine solche Geschichte parat haben, dann erzählen Sie Ihrem Sohn Ihre Geschichte. Die Betonung Ihrer Erzählung sollte dann aber nicht auf der perfekten Lösung liegen, sondern auf der Darstellung der Auseinandersetzung mit ihren Unsicherheiten. Und sollten Sie damals nicht zu einer guten Lösung gelangt sein, so sagen Sie Ihrem Sohn, was Ihnen geholfen hätte: Jemand, der Sie versteht, jemand, mit dem Sie über eine Niederlage hätten trauern können etc.

Lassen Sie Ihren Sohn dann mit ihrer Geschichte stehen und gehen Sie evtl. mit den Worten: „Wenn du mich in der Sache brauchst, dann komm auf mich zu!“ Die meisten Söhne kommen nach mehreren Tagen und manchmal beziehen sie sich dann gar nicht mehr auf unsere Geschichte und präsentieren dann doch eine Lösung, die sehr viel mit ihrer Geschichte zu tun hat. Freuen Sie sich und lassen Sie zu, dass er Ihre Geschichte und ihre Lösungsangebote für eine solche Konfliktlösung genutzt hat, um sich selbst zu regulieren.

  1. Aktion Teebeutel – Fordern Sie keine direkte Reaktion

Die wichtigste Tugend eines Vaters ist die Geduld. Im Umgang mit starken Emotionen ist dies bereits angedeutet. Machen Sie Geduld aber zu einer Methode. Nennen wir sie „Aktion Teebeutel“ – oder – „Ziehen lassen!“ – Die Methode möchte ich – obwohl bereits indirekt angedeutet – deshalb unterstreichen, weil Väter Männer sind. Und Männer sind lösungsorientiert. Sie lieben daher den schlauen Rat und wenn ihnen ein Problem auf den Tisch kommt, dann muss das durch eine perfekte Lösung aus der Welt geschafft werden.

Bitte halten Sie eine gewisse Distanz zu diesem Drang in sich. Denken Sie von ihrem Sohn her. Im Augenblick, in dem er ein Problem auf den Tisch packt, steht er aufgrund seiner inneren Verunsicherung vor vielen Frage: „Wer bin ich?“, „Bin ich richtig?“, „Ticke ich richtig?“, „Bin ich peinlich?“, „Muss ich mich jetzt, da ich das Problem nicht gleich lösen kann, vor mir und der Welt schämen?“ etc.  Wenn Sie dem Heer dieser Fragen in Ihrem Sohn mit einer perfekten Lösung und dem einen guten Ratschlag begegnen, dann vermitteln Sie ihm: „Du bist nicht ok!“ – D.h. Sie gießen Wasser auf die Mühlen seiner Fragen und vergrößern die Verunsicherung.

Daher mein Tipp: Erzählen Sie – wie bereits ausgeführt – Lösungen als Geschichten, als das Erleben eines Menschen, der selbst leidet und kämpft und dann lassen Sie ihn mit der Geschichte allein und lassen Sie ihre Worte in ihm „ziehen“. Wie ein Teebeutel.

  1. Über den Körper des Mannes sprechen

Schließlich – und das wäre nun wahrlich ein großes Thema – ist da noch der Körper. Damit sind wir beim Thema „Aufklärung“, das für viele Väter eines der schwierigsten, peinlichsten Themen ist, weshalb die meisten Söhne von den Müttern oder in der Schule aufgeklärt werden.

Über die Art, wie man aufklärt und was dazu gehört, kann man ein langes Seminar abhalten. Was aber letztlich gelingen sollte ist, dass Vater und Sohn auch über den Körper des Jungen sprechen. Denn vielmehr als die Frage, wie Kinder entstehen – was der Junge meist schon weiß – steht er mit Beginn der Pubertät vor der Frage, ist mein Körper ok, wirkt er männlich, stimmt da alles mit mir, u.v.a.m.

Da Väter sich mit diesem Thema schwer tun, hier ein einfacher Tipp, der nur auf eine Brücke hinweisen will, über die Sie gehen können: Suchen Sie eine Gelegenheit über den Körper des Mannes zu reden.  Hierzu gibt es verschiedene Gelegenheiten. Manchmal ist der Geruch, der im Zimmer pubertierender Jungs besonders stark ist, ein guter Anlass. Oder der Bartwuchs und die Frage nach dem Rasierapparat. Manchmal der Stimmbruch.  Die wesentlichste Regel, wenn sie eine Brücke auftun wollen, um mit dem Jungen über seinen Körper zu reden, um dann später auf das Thema Sexualität und Geschlecht zu sprechen zu kommen, wurde bereits genannt: Beschämen Sie ihren Jungen nicht! Riecht Ihr Sohn stark, dann gehen Sie mit ihm lieber in eine Drogerie oder Kosmetikladen und lassen sich gemeinsam beraten, wie Männer den Herausforderungen ihrer Haut begegnen können. Es ist sehr interessant, was man dort erfährt. So zum Beispiel, dass die Haut eines Pubertierenden im Vergleich zur Haut eines älteren Mannes anders ist, dass sie eine unterschiedliche Pflege braucht etc. Auch das Thema „Rasieren“ ist ein sehr ergiebiger Einstieg, vor allem dann, wenn man sich mal selbst fragt, wie das richtig geht. Manche Väter machen mit ihren Söhnen einen Rasierkurs: Wie man sich mit dem Rasiermesser rasiert, was der Unterschied ist zwischen Einwegrasierern und einer Messerrasur. In welche Richtung Barthaar geschnitten werden muss, damit es nicht einwächst oder die eh schon empfindliche, talgige Haut noch mehr gefährdet.

Auch hier ist wichtig: Machen Sie das Thema zu einem gemeinsamen Thema. Vereinen Sie sich mit Ihrem Sohn in diesem Thema und schon ist die Brücke zu allen möglichen anderen Themen im Bereich Körper, Geschlechtlichkeit, Entwicklung und Sexualität frei. Das Wichtigste für einen Jungen ist immer wieder die sichere Basis, die der Vater durch die gemeinsame Aktion, das gemeinsame Anliegen vermitteln kann. Dadurch zeigt der Vater jedes Mal: „Ich kann mit dir meinem Sohn mitfühlen.“ „Ich verstehe dich.“  Gelingt dem Vater dies, dann ist die Baustelle der Pubertät zu bewältigen, auch wenn die Beziehung zwischen Vater und Sohn aufgrund der Beschaffenheit der „Totalbaustelle“ etwas anders verlaufen muss, als in der Kindheit.