Niklaus von Flüe, im Volksmund „Bruder Klaus“ genannt, starb am 21. März 1487 in Flüeli-Ranft. Wer war Niklaus von Flüe? Was macht diesen Mann aus, dass er als Schweizer Landesvater auch heute noch grosses Ansehen und hohe Wertschätzung geniesst? Und was hat uns Niklaus von Flüe heute noch zu sagen?
Von Ralph Studer
Im Alter von ungefähr 30 Jahren heiratete Niklaus von Flüe Dorothee Wyss, mit der er zehn Kinder hatte. Er lebte ein bürgerliches Leben, war ein vorausschauender, tüchtiger Obwaldner Bauer und fürsorglicher Familienvater, angesehener Bürger und Richter. Als Soldat nahm er an den eidgenössischen Feldzügen seiner Zeit teil (auch an den Schlachten des Alten Zürichkriegs, des ersten „Bruderkriegs“ der Eidgenossenschaft). Zugleich war er Abgeordneter der eidgenössischen Tagsatzung.
Mehrere Male trug man Niklaus von Flüe das Amt des Obwaldner Landammanns an. Doch schlug er diese Ehre immer wieder aus. Er bekannte einem Freund: „Ich bin von Gott mit gutem Verstand begabt und in Geschäften des Vaterlandes viel zum Rat gezogen worden, habe auch viele Urteile gegeben. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass ich mittels göttlicher Gnaden in solchen etwas wider mein Gewissen gehandelt, oder auf eine Person gesehen habe. Niemals bin ich von der Gerechtigkeit abgewichen.“
Schon früh war er „mit einem zweiten Gesicht“ begabt (er hatte mehrfach göttliche Visionen), wie Zeitzeugen berichteten. Nächtliche, im Gebet durchwachte Stunden waren keine Seltenheit bei ihm.
Rückzug aus der Welt
Am 16. Oktober 1467 nahm Niklaus von Flüe Abschied von seiner Familie, um fortan in der Abgeschiedenheit ganz für Gott und den Glauben zu leben. Lange rang er um diese Entscheidung. Seine Frau Dorothee gab dazu ihre Zustimmung. Sie erkannte darin Gottes Willen. So lebte Niklaus von Flüe in seinem zweiten Lebensabschnitt als Einsiedler in einer nahegelegenen Klause im Flüeli-Ranft. Dort empfing er häufig Besuch von Ratsuchenden und Verzweifelten. Dabei war er nicht nur geistlicher Berater der Landbevölkerung, sondern auch als Ratgeber für ausländische Staatsoberhäupter weithin bekannt und geschätzt.
Niklaus von Flües Leben als Einsiedler war eigentlich ein Paradox. Er floh aus der Welt – da kam die Welt zu ihm. Er legte alle seine Ämter nieder – da wurde er erst recht in die politischen Händel verstrickt. Anscheinend musste Niklaus von Flüe erst in die Einsamkeit und Wildnis gehen, um sich zum grossen Staatsmann zu entwickeln. Er war den Interessen überlegen, von Parteien unabhängig, von Leidenschaften unberührt. Der Autor Walter Nigg schreibt: „Von Ehrgeiz und Machtgelüsten, die beinahe alle politisch sich betätigenden Menschen vergiften, war bei diesem losgelösten Einsiedler keine Spur zu entdecken. (…) Als einer, der über den Dingen stand, kannte er mehr als blosse Diplomatie und stiess mit seinen Vorschlägen beständig ins Überpolitische vor.“ Man kann den Staatsmann Niklaus von Flüe nicht vom Mystiker Bruder Klaus trennen, denn seine Politik entsprang seiner Mystik.
Rettung der Eidgenossenschaft
Als die städtischen Orte, vor allem Bern, nach dem Sieg über Burgund 1476/77 die mit ihm verbündeten Städte Freiburg und Solothurn in den Bund der Eidgenossen aufnehmen wollten, stiess dieser Wunsch auf der Tagsatzung 1481 auf entschiedenen Widerstand der Landorte Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug. Die Landorte befürchteten, künftig von den Städtern überstimmt zu werden. Bald wurden auch drohende Töne der Landschaft gegen die Städter unüberhörbar. Verhandlungen und Schlichtungsversuche scheiterten zunächst. Nach der Überlieferung zog die Tagsatzung den Eremiten Niklaus von Flüe in dieser ausweglosen Situation zu Rate. Dieser ermutigte die Abgeordneten der Landorte, nicht auf ihren maximalen Einschränkungen gegenüber den neuen Stadtkandidaten zu beharren, sondern in einen Kompromiss einzuwilligen, der konkrete und schliesslich auch akzeptierte Vertragspunkte enthielt. So durften insbesondere die beiden neuen Stadtorte Freiburg und Solothurn nur beschränkt militärische Bündnisse mit Aussenstehenden eingehen.
Die erfolgreiche Vermittlung von Bruder Klaus im eidgenössischen Konflikt ist als „Stanser Verkommnis“ des Jahres 1481 in die Geschichte der Schweiz eingegangen. Sie war nicht nur Niklaus von Flües eigene grosse Tat, sie war auch ein entscheidender Schritt in der Entwicklung des demokratischen Bewusstseins der sich konsolidierenden Eidgenossenschaft.
Nach seinem Tod
Sofort nach seinem Tod galt er als „der eigentliche Nationalheilige des Schweizerlandes“. Sein Name war „ein politisches Programm schlechthin. Seine Ratschläge lebten diesseits und jenseits des Grabens, den die Reformation zwischen den Bundesgliedern aufgeworfen, fort. In allen entscheidenden Stationen der alten Eidgenossenschaft ist der Geist Bruder Klausens von beiden Seiten zitiert worden“, so der Schweizer Historiker Robert Durrer. Und der deutsche Historiker Gisbert Kranz weist daraufhin, dass sich auch ausserhalb der Schweiz angesehene Vertreter beider Konfessionen auf die Autorität von Niklaus von Flüe beriefen: Huldrych Zwingli und Martin Luther auf protestantischer Seite ebenso wie Thomas Murner und Petrus Canisius auf der katholischen.
Für unsere Zeit
Die Gestalt des Niklaus von Flüe, sein Wirken und seine Überzeugungen haben gerade in unserer heutigen Zeit eine entscheidende Bedeutung. Die aktuellen Vorkommnisse verdeutlichen dies. Die Umwertung unserer Verfassung und unserer traditionellen Werte zeigen, in welchen Umwälzungen sich die Schweiz befindet. Die Souveränität und Unabhängigkeit der Schweiz werden mehr und mehr geschwächt. Nicht nur das. Unser Werte- und Gesellschaftsfundament wird in seinem Kern angegriffen (vgl. hierzu die neue Broschüre von Zukunft CH „Die Schweiz im Umbruch“).
In diesem „Kulturkampf“ geht es um die bewährten gesellschaftlichen Säulen des christlich-abendländischen Denkens, nämlich die natürliche Familie als Grundlage des Staates, die Freiheit des Menschen und seine Identität (vgl. hierzu die im November 2022 von Zukunft CH publizierte Sonderausgabe „Am Scheideweg“). Wenn Umbrüche und Umwälzungen das Fundament bedrohen und alles verloren scheint, ermutigt uns die Geschichte und Person Niklaus von Flües. Er war ein Hort von Ruhe, Sicherheit und Gottvertrauen.
Aktueller denn je
In seinem Denken und Handeln zeigte sich Niklaus von Flüe auch als ein Vorkämpfer gegen jede Einmischung in „fremde Händel“ und gegen auswärtige Bündnisse. Die Neutralität der Schweiz als Maxime der Schweizer Aussenpolitik geht massgeblich auf den grossen Eidgenossen vom Ranft zurück. Er ist eine lebendige Mahnung für den einzelnen Menschen, die Schweiz, Europa und die Welt angesichts des gravierenden Ukraine-Konflikts, der an den Grundfesten des Friedens rüttelt und diese zum Einsturz bringen könnte. In der gegenwärtigen inneren Zerreissprobe und den gesellschaftlichen Spaltungen, welche die Schweiz und ihre Einheit gefährden, ist eine Rückbesinnung auf unseren Landesvater Niklaus von Flüe und seine Grundsätze wichtiger denn je.
Zu keiner Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg war der Frieden mehr bedroht wie jetzt. Niklaus von Flües grösstes Anliegen war der Friede. In seinem Brief an Bern aus dem Jahr 1482 schreibt er: „Friede ist allweg in Gott, denn Gott ist der Friede, und Friede kann nicht zerstört werden, Unfriede aber wird zerstört. Darum sollt ihr schauen, dass ihr auf Frieden stellet.“ Als Friedensstifter hat Niklaus von Flüe Grossartiges geleistet. In dieser Tradition steht die Schweiz mit ihren guten Diensten und Friedensvermittlungen. Erinnern wir uns an diese Stärken der Schweiz und gedenken wir besonders in diesen Tagen unseres Landesvaters Niklaus von Flüe, der sowohl von Katholiken als auch von Protestanten gleichermassen als religiöse und patriotische Autorität anerkannt wird. Und allen, die an die Gemeinschaft der Heiligen glauben, ist er ein mächtiger Fürbitter bei Gott für den Frieden in der Welt.
Quelle: https://www.zukunft-ch.ch/niklaus-von-fluee-gestern-und-heute/