Warum ist eine der ersten Amtshandlungen eines US-Präsidenten die Förderung von finanziellen Mitteln an Abtreibungsorganisationen? Weil es um sehr viel mehr als um Abtreibung geht. Die Legalisierung der Abtreibung ermöglicht vermeintliche „Freiheiten“ und dient als Steigbügelhalter für die gegenwärtige Kulturrevolution. Wie ist das möglich?
Von Ralph Studer
Nicht erst seit dem Feminismus steht die Abtreibung auf der politischen Agenda. Lange vorher hatten gesellschaftliche
Strömungen wie der Materialismus, Atheismus und Malthusianismus (Theorie der Überbevölkerung) die Abtreibung salonfähig gemacht und eine Legalisierung begünstigt. Zu diesen gehörte auch die Eugenik und deren namhafte Vertreter wie Margret Sanger, die sich bereits in den 1920er-Jahren für Abtreibung einsetzte und die US-amerikanische Geburtenkontrollbewegung gründete.
Menschenwürde – neu definiert
Noch vor 70 Jahren waren Abtreibung und Euthanasie in Staaten, welche die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
unterzeichnet haben, illegal und wurden als etwas Schlechtes betrachtet. Heute gibt es eine starke Bewegung, die Abtreibungen und Euthanasie forciert und in der Gesellschaft durchsetzen will.
Das ist eine neue Sicht. Ihr liegt ein verändertes Bild dessen zugrunde, was der Mensch ist. Und dies wiederum hat Folgen für den Begriff der Menschenwürde. Wo liegen die tieferen Ursachen für diese gewandelte Sicht auf den Menschen? In der Anthropologie existieren zwei Hauptströmungen, die sich deutlich unterscheiden: Der jüdisch-christliche Ansatz sieht den Menschen als Geschöpf, das seine menschliche Würde von der von Gott geschaffenen Natur und seinem Schöpfer ableitet. Diese Menschenwürde sieht sich erfüllt, wenn der Mensch im Einklang mit seiner Natur lebt und die natürlichen Gegebenheiten erfüllt, wie z.B. eine Familie gründet, Kinder zeugt und erzieht sowie Verantwortung übernimmt. Dem gegenüber steht ein postmodernes Konzept, wonach der Mensch die Würde hat, weil er fähig ist, zu denken und zu entscheiden. Daraus folgt, dass jemand, der keine solche Autonomie besitzt – wie etwa ein ungeborener Mensch, ein Baby, eine ältere oder kranke Person – auch keine echte Würde besitzt. Das bedeutet zugleich, dass jemand, der über viel Autonomie verfügt und über seinen eigenen Körper bestimmt, einen höheren Grad an Würde zum Ausdruck bringt.
Die Grundlagen des postmodernen Konzepts sind in den Ideologien der Eugeniker zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu finden. Personen wie Ernst Haeckel vertraten die Auffassung, Menschen würden erst durch einen evolutionären Prozess zu Menschen. Für diese Ideologen ist die Menschwerdung im Prinzip ein langer evolutiver „Befreiungsprozess“ des Geistes (Verstand und Wille) von der Materie (Natur). Anschaulich zeigt dies Grégor Puppinck, Direktor des Europäischen Zentrums für Recht und Justiz (ECLJ), auf: „Je mehr Menschen zu kognitiven Prozessen fähig seien, je mehr sie nachdenken
könnten, (…) umso menschlicher und umso mehr auch [würden sie] Träger von Würde.“ Demzufolge ist es erstrebenswert,
sich vom eigenen Körper zu distanzieren und Macht über ihn zu erlangen.
Gravierende Folgen
Dieses postmoderne Konzept des Menschen teilt die Menschen in unterschiedliche Kategorien von „Wert“ und „Würde“ ein und führt – in Konsequenz – zur Rechtfertigung von Abtreibung, Euthanasie und Eugenik. Treffend analysiert Puppinck: „Was bei der Abtreibungsfrage auf dem Spiel steht, ist keineswegs nur die Frage der Geburtenkontrolle. Vielmehr führt die Praxis der Abtreibung zu einer grundlegenden Änderung in der Beziehung der Gesellschaft zum menschlichen Leben (…). Das eigentliche Ziel der Abtreibung ist in den Augen der Befürworter nicht in erster Linie die Geburtenkontrolle, sondern der vernunftgemässe Kontrollerwerb über den Sexualtrieb, die Fortpflanzung und das Leben als Vektor des Fortschritts der Menschheit. (…) Die Abtreibung öffnet den Weg zur rationalen Beherrschung des menschlichen
Lebens, das nur mehr als Werkstoff verstanden wird.“
Schon 1979 sagte der Arzt Pierre Simon, der sich in Frankreich für die Empfängnisverhütung und Abtreibung einsetzte: „Das Leben als Werkstoff, das ist das grundlegende Ziel unseres Kampfes (…) es ist unser Recht, damit zu tun und lassen, was wir wollen (…) wie mit unserem Eigentum.“ Wird das Leben nur noch als „Werkstoff “ verstanden, verliert es seine Unantastbarkeit und seine Heiligkeit. Das Leben wird der Beliebigkeit preisgegeben und verliert jeglichen Schutzstatus. Nach dieser Denkweise sind die gänzliche Legalisierung und die Einführung eines „Grundrechts“ auf Abtreibung dann nur noch ein logischer nächster Schritt.
Eine neue Rechts-und Gesellschaftsordnung
Ist das Leben relativiert, öffnet dies die Büchse der Pandora, die Tore zu vermeintlichen „Freiheiten“. Und welche „Freiheiten“ sind dies? Puppinck sagt es deutlich: „(…) dazu zählt die Freiheit der Wissenschaft, die zur Kontrolle über die Fortpflanzung und das Leben führt, aber auch sexuelle Freiheit, die durch die Empfängnisverhütung gefördert, aber erst durch die Abtreibung garantiert wird. Ohne Abtreibung sind weder die wissenschaftliche noch die sexuelle Freiheit unbeschränkt.“
Vor diesem Hintergrund erhält die Debatte um Abtreibungs- und Lebensschutzfragen eine völlig neue Dimension. Diese massiven Umwälzungen zeigen deutlich die Züge einer Kulturrevolution, in deren Zentrum die Legalisierung der Abtreibung eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer neuen Rechts- und Gesellschaftsordnung spielt.
Dass diese Entwicklung auch die Schweiz massiv verändert, zeigt Zukunft CH in der neuen Broschüre „Die Schweiz
im Umbruch“, welche anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums der Schweizer Bundesverfassung erschien. Bestellen Sie jetzt die neue Fachbroschüre bei Zukunft CH unter info@zukunft-ch.ch oder Tel. 052 268 65 00.