Bei der Totalrevision der Bundesverfassung vor 20 Jahren wurde die Ehe als „die Verbindung zwischen Mann und Frau“ bezeichnet. Dieses Recht erstrecke sich „weder auf Ehen zwischen Transsexuellen noch auf homosexuelle Ehen“, so der Bundesrat. Der Verfassungsgeber wollte der traditionellen Ehe also bewusst einen besonderen Schutz einräumen. Damit könnte es bald zu Ende sein. Geht es nach bestimmten politischen Kreisen, ist die „Ehe für alle“ nur ein Zwischenschritt.
Von Ralph Studer
Seit der Revision unserer Bundesverfassung im Jahre 1999 sind mittlerweile etwas mehr als 20 Jahre vergangen. In der Botschaft zur neuen Bundesverfassung vom 20. November 1996 hob der Bundesrat hervor, für wen die Ehe in der neuen Bundesverfassung vorgesehen ist: „Nach einer historischen Auslegung von Art. 54 BV [Bundesverfassung] und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] garantiert das Recht auf Ehe die Verbindung zwischen Frau und Mann. Es erstreckt sich weder auf Ehen zwischen Transsexuellen noch auf homosexuelle Ehen. Ebenso anerkennt Art. 12 EMKR [Europäische Menschenrechts-konvention] das Recht auf Heirat und Familiengründung jedem Mann und jeder Frau zu, vorausgesetzt, es handelt sich um eine Verbindung zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts. Das Institut der Ehe war stets auf die traditionellen Paare ausgerichtet. Eine Ausweitung auf alle Formen des Zusammenlebens würde heute dem Grundgedanken des Instituts Ehe widersprechen.“ Noch im Februar 2014 bestätigte der Bundesrat diese Haltung.[1]
Auch bestehe ein öffentliches Interesse am Institut der Ehe, dass diese staatlich geordnete eheliche Gemeinschaft zwischen Mann und Frau die optimale Grundlage für heranwachsende Nachkommen und ihren rechtlichen Schutz bildet.[2] Diese Rechtslehre wurde auch vom Bundesgericht bestätigt, wenn es ausführt, dass die Ehe und Familie aus biologischen Gründen immer noch und natürlicherweise in anderer Form zum Fortbestand der Gesellschaft beiträgt als die gleichgeschlechtliche Partnerschaft.[3]
Die Rechtslage lässt keine Zweifel
Diese Ausführungen verdeutlichen, dass die Ehe stets als Verbindung zwischen Mann und Frau gesehen und ihr von der Verfassung ein privilegierter Schutz eingeräumt wurde, insbesondere im Vergleich zu anderen Lebensformen.[4] Ausgehend von dieser Faktenlage, verstösst eine Ausweitung der Ehe auf gleichgeschlechtliche Paare sowohl gegen den klar geäusserten historischen Willen des Verfassungsgebers als auch gegen Sinn und Zweck von Art. 14 BV („Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet“). Auch das Vorgehen im Jahr 2007 bei der Einführung des Partnerschaftsgesetzes bestätigt diese Sichtweise, dass die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden wurde. Wäre dem anders, hätte nicht extra ein Partnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt werden müssen.[5] Für diese Sichtweise spricht zudem auch im Jahr 2015 eingereichte parlamentarische Initiative Nr. 13.468 der Grünliberalen Fraktion für die „Ehe für alle“, welche auf eine Änderung der Verfassung abzielte und nicht eine Gesetzesrevision verlangte[6]
Selbst Befürworter kritisieren Bundesrat und Parlament
Wenn wir unsere Verfassung als oberste Grundregel unseres Staates und unserer Gesellschaft ernst nehmen, sind wir auch dafür verantwortlich, dass sie nicht für ideologische Vorhaben missbraucht wird. Sie kann nicht einfach nach Belieben umgangen werden, was durch die Gesetzesvorlage „Ehe für alle“ gerade passiert, indem vorliegend kurzerhand über eine Gesetzesänderung die Verfassung ausgehebelt werden soll.
Wie kam es dazu? Trotz offenkundiger Notwendigkeit einer Verfassungsänderung hat eine Parlamentsmehrheit, bestehend aus SP, GLP und FDP, sich gegen eine Verfassungsänderung entschieden. Dass hier abstimmungstaktische Gründe eine wesentliche Rolle gespielt haben dürften, ist nicht von der Hand zu weisen. Eine Verfassungsänderung bedarf neben dem Volksmehr auch der Zustimmung der Mehrheit der Kantone (Ständemehr), bei einem Referendum braucht es nur das Volksmehr.
Dass dieses Vorgehen mehr als fragwürdig ist, kritisieren sogar Befürworter der „Ehe für alle“ scharf. Katharina Fontana/NZZ[7] – Befürworterin der „Ehe für alle“ – nennt das Vorgehen von Bundesrat und Parlament „zwielichtig“. Sie stützt sich dabei auf das Gutachten des Bundesamts für Justiz, worin u.a. ausgeführt wird, dass der Ehe-Artikel in der Verfassung klar auf Mann und Frau zugeschnitten sei. Trotz dieser Tatsache könne im Gesetz eine andere Ehedefinition etabliert werden, so das Gutachten. Diese Aussagen des Gutachtens sind mehr als widersprüchlich. Trotzdem votierte die Mehrheit der Parlamentarier – trotz offensichtlicher Verfassungswidrigkeit – für die Einführung der „Ehe für alle“ auf Gesetzesebene. Die Parlamentarier argumentierten, dass niemand wegen seiner Lebensform diskriminiert oder wegen seines Geschlechts benachteiligt werden sollte. Deshalb sei das Parlament verpflichtet, den Wandel gesellschaftlicher Ansichten aufzunehmen und den Ehebegriff im „Gesetz“ so auszulegen, dass er auch die Bedürfnisse von Minderheiten berücksichtige, so die Parlamentarier.
Dass diese Argumentation des Parlaments zurückschlagen kann, liegt auf der Hand. Fontana führt in der NZZ dazu treffend aus: „Das allerdings ist eine steile These, die sich irgendwann rächen könnte. Man stelle sich vor, wohin es führen würde, wenn tatsächlich sämtliche Lebensformen gleich zu behandeln und keinerlei ethisch-gesellschaftlich begründeten Differenzierungen mehr zulässig wären. Wie stünde es dann um die staatliche Anerkennung polygamer Beziehungen? Wäre die Ehe nicht auch bald schon zwingend für einen Mann und seine vier Frauen zuzulassen? Oder für die Minderheit der polyamoren Trios oder Quartette, die es in unserer Gesellschaft ebenfalls gibt? Wo steht, dass die Ehe monogam bleiben muss? Oder dass sie nur zwischen Menschen geschlossen werden kann? Soll sich künftig wirklich jede Minderheit, die zivil heiraten will, auf das Diskriminierungsverbot berufen können?“
Zentrale Überlegungen von Katharina Fontana, die in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Würde die „Ehe für alle“ angenommen, sind die nächsten Forderungen schon vorhersehbar. Wollen wir eine solche Entwicklung wirklich einleiten? Dieses Vorgehen von Parlament und Bundesrat verdient eine klare Absage des Stimmvolks. Die Verfassung ist nicht eine beliebige Regel, die je nach ideologischem Bedarf unter Umgehung von Volk und Ständen einfach über den Weg einer Gesetzesrevision abgeändert werden darf. Neben dieser klaren Verfassungsverletzung bzw. -umgehung wollen Parlament und Bundesrat ebenfalls in offenkundiger Verletzung von Art. 119 Abs. 2 lit. c BV[8] die Samenspende entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut auch für lesbische Paare öffnen.[9]
Dieser doppelte Verfassungsbruch stellt eine gravierende Entwertung unserer Verfassung dar und ist einer Demokratie wie der Schweiz unwürdig. Jedoch scheint dies weder Politik noch Medien zu stören. Der Zweck heiligt offenbar die Mittel. Man fragt sich, was aus unserem Rechtsstaat geworden ist. Sollte diese Gesetzesvorlage angenommen werden, stehen wir auch im Bereich der Fortpflanzungsmedizin vor einem Dammbruch. Steht der „Kinderwunsch“ im Vordergrund, dann kann sich jeder, der sich ein Kind wünscht, darauf berufen. Mit welchem Argument soll dann z.B. einer Single-Frau oder einem Rentner dieser Wunsch rechtlich verweigert werden? Dann wäre es nur noch ein kleiner Schritt auf dem Weg zu „Kinder für alle“.
Leihmutterschaft und die Abschaffung der Ehe
Dass nach der Einführung der „Ehe für alle“ die Forderung nach der Leihmutterschaft folgen wird, ist absehbar. Bereits haben die Jungfreisinnigen dieses vermeintliche Tabuthema gebrochen.[10] Homosexuelle Paare werden mit dem gleichnamigen „Diskriminierungsargument“ ihren Kinderanspruch geltend machen und so rechtliche Gleichstellung mit lesbischen Paaren einfordern, was Tür und Tor für die Leihmutterschaft öffnen wird.
Mit dieser Vorlage „Ehe für alle» und Öffnung der Samenspende für lesbische Paare“ versuchen Bundesrat und Parlament einen offenkundigen Verfassungsbruch, der die traditionelle Ehe massiv schwächen würde und unser gesellschaftliches Zusammenleben und unsere Kultur- und Wertvorstellungen ebenso in grundlegender Weise in Frage stellt. Treffend führt das Referendumskomitee hierzu aus: „Die christliche Weltanschauung definiert die Ehe als Verbindung, in der ein Mann und eine Frau sich lieben und die eine stabile und liebende Umgebung für allenfalls gezeugte Kinder bilden, die bei ihren biologischen Eltern aufwachsen dürfen. Die ethischen Unklarheiten, die durch die Auflösung dieser sehr einfachen Formel entstehen, führen letztlich zu einer Auflösung der Ehe statt zu deren Stärkung.“
Dass diese Ausführungen weder übertrieben noch realitätsfremd sind, zeigt ein kurzer Blick auf das Feminismus-Papier der Schweizer Jungsozialisten von 2015[11]. Darin wird deutlich, dass die Zulassung aller möglichen Paare und Konstellationen zur Ehe nur einen Zwischenschritt in der Strategie darstellt, die Ehe als „diskriminierende Institution“ ganz abzuschaffen. Nicht nur die Frau, sondern alle „(A-)Sexualitäten, Gender-Identitäten und Lebensformen“ sollen laut den Jungsozialisten befreit werden: „Hier muss unser Weg der Queerfeminismus sein.“ Doch dieser Befreiung stehe die Institution der Ehe als „überholtes Konstrukt“ im Weg. Die Jungsozialisten lehnen es „auf lange Frist“ ab. Bis es soweit ist, muss die Ehe „für alle Geschlechter und Konstellationen“ geöffnet werden.
Wohin gehen wir?
Wir stehen an einem Wendepunkt in unserer Familien- und Gesellschaftspolitik. Ehe und Familie sind elementar für den gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhalt der Schweiz. Mit dieser Gesetzesvorlage „Ehe für alle“ steht viel mehr auf dem Spiel, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Ehe als natürliche Verbindung zwischen Mann und Frau und unentbehrliche Institution für unsere Kinder verdient weiterhin den privilegierten und umfassenden Schutz durch unsere Verfassung. Verliert sie diesen Status, verlieren wir die Ehe als Garanten für die Zukunft unseres Landes, unseren sozialen Zusammenhalt und unsere Gesellschafts- und Werteordnung. Letztlich verlieren wir unser Fundament für die gesunde Entwicklung unserer Kinder. Kinder, die sich danach sehnen mit ihrem biologischen Vater und ihrer biologischen Mutter zusammenzuleben und in diesen Beziehungen zu reifen und zu wachsen.
[1] Antwort des Bundesrats auf eine Interpellation der Grünen-Politikerin Adèle Thorens Goumaz.
[2] Vgl. Hangartner Ivo, Verfassungsrechtliche Grundlagen einer registrierten Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare, in: AJP 2001 252 ff., S. 256.
[3] BGE 126 II 425 E. 4a.
[4] Vgl. Häner Isabelle, Bundi Livio, Ehe für alle und ihre Verfassungsmässigkeit, in: Jusletter vom 6.9.2021.
[5] Erläuternder Bericht zum PartG (Fn. 25).
[6] Vgl. Häner, Bundi, a.a.O., S. 10.
[7] Vgl. https://www.nzz.ch/meinung/ehe-fuer-alle-warum-muss-man-die-verfassung-biegen-ld.1644234 (abgerufen am 16. September 2021).
[8] Art. 119 Abs. 2 lit. c BV ist eine junge Bestimmung und erst seit dem 14. Juni 20215 in Kraft.
[9] Art. 119 Abs. 2 lit. c sieht ausdrücklich vor, dass die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung ausschliesslich heterosexuellen Paaren offenstehen dürfen. Laut Verfassung ist die medizinisch unterstützte Fortpflanzung bei Unfruchtbarkeit des Paares zugelassen, die ist der Fall, wenn Paare trotz regelmässigem Geschlechtsverkehr kein Kind zeugen können. Lesbische Frauen sind aber nach allgemeiner Auffassung nicht unfruchtbar. Offenbar wird „Unfruchtbarkeit“ nun einfach als „unerfüllter Kinderwunsch“ verstanden. Auch hier geht es darum, dass die vom Verfassungsgeber ausgedrückte Meinung nicht durch eine Gesetzesumgehung, die darüber hinaus die klare Äusserung im FMedG überspielt, ausser Kraft setzt. Vgl. hierzu Häner/Bundi.
[10] Vgl. https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/der-jungfreisinn-will-die-familie-revolutionieren-65868571 (abgerufen am 16. September 2021).
[11] Vgl. https://www.swissinfo.ch/ger/juso-bezeichnet-ehe-als-ueberholtes-konstrukt/41475748 (abgerufen am 16. September 2021).