„Weisse Rose“: Christoph Probst – Das Leben eines Aufrechten

“Lebe auch in diesem kommenden Jahr im tiefen Vertrauen, dass alles sinnvoll ist und einem keine Zufälligkeiten im Leben begegnen, dass alle Kämpfe letzthin für das Gute gefochten werden (….). Auch im schlimmsten Wirrwarr kommt es darauf an, dass der Einzelne zu seinem Lebensziele kommt, zu seinem Heil kommt, welches nicht in einem äusseren Erreichen gegeben sein kann, sondern nur in der inneren Vollendung seiner Person. Denn das Leben fängt ja nicht mit der Geburt an und endigt mit dem Tod. So ist ja auch das Leben, als die grosse Aufgabe der Mensch-Werdung, eine Vorbereitung für ein Dasein in anderer neuer Form.” (Christoph Probst, 27. August 1942)

von Ralph Studer

Jugend- und Schulzeit

Christoph Hermann Ananda Probst (Spitzname „Christel“) wurde am 06. November 1919 in Murnau geboren – ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Gründung der ersten deutschen Demokratie. Wirtschaftliche Not und politische Auseinandersetzungen prägten die ersten Jahre der Weimarer Republik, insbesondere im Krisenjahr 1923. Neben der galoppierenden Inflation war der “Hitlerputsch” in München und Oberbayern am 09. November 1923 der Höhepunkt jener Zeit.

Auch Christophs Heimatort Murnau war von Unruhen erfasst und wurde bald zu einer Hochburg des Nationalsozialismus im bayerischen Oberland. Die distanzierte Rolle, die Christophs Eltern zum späteren Nationalsozialismus hatten, prägte auch Christophs Persönlichkeit. Durch seinen Vater, den promovierten Chemiker Hermann Probst (1886–1936), lernte er kulturelle und religiöse Freiheit kennen und schätzen. Hermann Probst war Privatgelehrter, beschäftigte sich mit indischer Philosophie und pflegte Kontakte mit Künstlern, die im Nationalsozialismus als „entartet“ galten. So wurde Christoph schon früh durch seinen Vater geistig herausgefordert, was ihm später in der Zeit des Nationalsozialismus half, sein kritisches und eigenständiges Denken auch unter schwierigen Umständen beizubehalten.

Nach der Scheidung seiner Eltern wuchs Christoph  in den ersten Lebensjahren an verschiedenen Orten auf und lebte teilweise bei seiner Mutter, teilweise bei seinem Vater. Sein Vater verheiratete sich dann in zweiter Ehe mit der Jüdin Elise Jaffée, geb. Rosenthal.

Trotz des schnellen Aufstiegs der NSDAP spielte die Politik im Leben von Christoph in jener Phase keine wesentliche Rolle. Wichtig waren dagegen in der frühen Jugendzeit Familienleben, Spiele, Wanderungen in den Bergen und ein intensives Erleben der Natur 1.

Christoph besuchte 1930-1932 das Neue Gymnasium in Nürnberg und von 1932-1935 die Internatsschule Marquartstein. Während dieser Jahre bauten die Nationalsozialisten ihre Diktatur auf und beseitigten die demokratischen Strukturen Deutschlands. Eine wesentliche Stütze war hierbei die Hitlerjugend (HJ). Nach und nach verdrängte die HJ die anderen Jugendverbände und die Jugendlichen waren später verpflichtet, in die HJ einzutreten. Dem Hitlerregime gelang es, Jungen und Mädchen vom Elternhaus abzulösen und so für Adolf Hitler und den Nationalsozialismus zu begeistern. Auch Christoph geriet zunächst unter den Einfluss der HJ, als er in Marquartstein das Internat besuchte und dort auch Mitglied der HJ wurde 2. Bereits im November 1934 berichtete Christoph von einer immer stärkeren Vereinnahmung durch die HJ, welcher er kritisch gegenüberstand 3.

Als einen ungewöhnlichen, für sein Alter von 13 bis 14 Jahren klugen Schüler, beschreibt ihn Roland Klein, einer von Christophs Lehrern in Marquartstein.  Besonders stachen seine Offenheit gegenüber anderen, sein fröhlicher Charakter und seine Unbeschwertheit hervor, so Klein. Trotz Christophs Zurückhaltung bemerkte Klein schon damals seine Selbstsicherheit und Furchtlosigkeit 4.

Christoph war einer der wenigen, denen es zeitweise gelang, sich nicht durch die HJ vereinnahmen zu lassen: Nach seinem Wechsel an das Neue Realgymnasium in München im Jahre 1935 liess er die Mitgliedschaft bei der HJ einschlafen. Dort lernte er seinen Freund und späteren Mitkämpfer in der Widerstandsbewegng „Weisse Rose“, Alexander Schmorell, kennen. Mit Alexander verband ihn neben Sympathie und ähnlichem geistigen Denken die Begeisterung für Bergsteigen und Skifahren. Es entwickelte sich eine „unzerreissbare Freundschaft“ zwischen den beiden 5.

Seit April 1936 besuchte Christoph das Landerziehungsheim Schondorf. Trotz des zwingenden Eintritts in Schondorf in die HJ hielt er sich von der HJ möglichst fern, nahm jedoch auch an einigen Aktivitäten teil, um im Internatsleben nicht als Aussenseiter dazustehen 6. Doch konnte er sich mit dem Landheimleben nie ganz anfreunden, wobei er von seinem Wesen wohl eher kein Gemeinschaftsmensch war, sondern eher Individualist und sich auch politisch nicht vereinnahmen lassen wollte 7. Der plötzliche Selbstmord seines Vaters im Mai 1936 war für Christoph ein zentraler Einschnitt in seinem Leben. Der Schmerz und die Trauer um den Vater überschatteten Christophs Leben seit jener Zeit. Der Vater blieb die Identifikationsfigur und auch dessen Lebenswelt übten weiterhin einen prägenden Einfluss auf Christoph aus. Infolge des Todes des Vaters entwickelte Christoph eine engere Bindung zur zweiten Frau seines Vaters, Elise Probst, der geliebten „Ömi“, die nunmehr der Mittelpunkt der Familie für Christoph und das Zentrum seines brieflichen Gedankenaustauschs bildete 8. Auch äusserte Christoph in dieser Zeit Gedanken über „Liebe, „Tod“ und den „Sinn des Lebens“, die für einen sechzehnjährigen Jungen sehr erstaunlich sind, so u.a.:

„Hier ist es schön wie immer. Auch der Regen konnte dem schönen Leben seinen Glanz nicht nehmen. Glanz? Wenn man ins Einzelne schaut, in die Abschnitte des Tagesablaufs, findet man eher alles andere als das. Und trotzdem liegt irgendetwas wie ein Glanz über dem Leben der Menschen (…). Oft sehe ich ihn [Glanz] nicht, dann kommt mir alles ganz sinnlos vor und so abscheulich niedrig: Da sitzen nun all die Tiere, die sich Menschen nennen, an den Tischen und schauen, dass sie so viel vom dem Fleisch toter, geschlachteter Tiere in sich hineinquetschen können, wie es nur möglich ist. Jeder muss essen, jeder verdauen, auch ich muss diese niedrigen Lebensfunktionen ausführen, bin sogar an sie gebunden. Dann möchte ich am liebsten den Bissen ausspucken und bis ans Ende der Welt laufen. Gott sei Dank erkenne ich aber doch meistens den Sinn des Lebens, erkenne, wie natürlich und schön das ganze Leben ist, dann kann ich glücklich sein und ordentlich mitmachen.“ 9

Das Erlebnis des Todes seines Vaters, die frühe Trennung seiner Eltern und die dadurch sehr komplizierten Familienverhältnisse riefen bei Christoph eine tiefe Sehnsucht nach Harmonie hervor. „Harmonie“ war jetzt der zentrale Begriff seines Denkens und Handelns. Er suchte die Harmonie, bemühte sich auch, sie selber zu schaffen und in schwierigen familiären Situationen ausgleichend zu wirken und das Positive zu sehen 10. Seine schon von Beginn an kritische Haltung gegenüber dem Landheimleben und den nationalsozialistischen Aktivitäten verstärkte sich in dieser Zeitspanne mit seiner verzweifelten Forderung nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben:

„Es ist wirklich eine Plage, das Landheimleben, kaum eine freie Minute (…). Das Schlimmste ist ja nur das, dass nach den zwei Landheimjahren, die nicht allzu zuckrig sind, die verfluchten 2.5 Jahre Militär kommen! Das übersteigt wirklich jedes vernünftige Mass, ich weiss nicht, wie das werden soll“ 11.

In  Schondorf schloss Christoph Freundschaft mit dem Lehrer Bernhard Knoop, seinem späteren Schwager, und erhielt 1937, mit nur 17 Jahren, das Abitur. In seinem „Charakterzeugnis“, welches Christoph neben seinem Abiturzeugnis erhielt, wurden seine persönlichen Qualitäten hervorgehoben wie geistige Lebendigkeit und selbständiges Urteilsvermögen; Eigenschaften, die offenkundig dem Idealbild des sich völlig in die Volksgemeinschaft einordnenden jungen Nazi widersprachen 12.

Dass Christoph später sich gegen das Unrechtsregime der Nazis erhob, hat sicherlich auch seinen Grund in dem Umstand, dass Elise Probst, seine Stiefmutter, die er sehr liebte, jüdischer Abstammung war und er von Anfang an das Unrecht miterlebte, das auf die jüdischen Mitbürger in Deutschland zukam 13: Ab 1933 verstärkte sich die antisemitische Stimmung in Deutschland zusehends. Nach Hitlers Machtübernahme  – im April 1933 – setzte mit dem Boykott gegen jüdische Geschäfte und dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ eine Welle der Diskriminierung und zum Teil gewaltsamen Verfolgung von Juden in Deutschland ein. Diese antijüdische Politik fand 1935 in den „Nürnberger Gesetzen“ ihren Höhepunkt. Das “Reichsbürgergesetz” hatte zur Folge, dass Elise Probst zu einer politisch rechtlosen „Staatsbürgerin“ ohne Wahlrecht wurde und durch das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ war die Eheschliessung zwischen Juden und Nichtjuden von nun an verboten. Es gab im Gefolge dieser rassistischen Gesetze, einen „Strom von Denunzianten“, die wegen „Rassenschande“ oder „Freundlichkeit gegenüber Juden“ Anzeige bei der Gestapo erstatteten. Das Leben seiner Stiefmutter war somit keineswegs mehr sicher 14.

Auch wenn die Landerziehungsheime Markquartstein und Schondorf gewisse Freiräume besassen, waren sie doch auch vom nationalsozialistischen Denken durchdrungen. Insbesondere das Landerziehungsheim Schondorf hielt jedoch in der Zeit, als Christoph dieses besuchte, nach innen an einem christlichen und humanistischen Menschenbild sowie an einer individuellen Förderung jedes einzelnen Schülers fest. Schulische und wissenschaftliche Ausbildung waren wichtiger als körperliche Ertüchtigung, so dass die Erziehung zu geistiger Selbständigkeit und Kritikfähigkeit möglich blieb. So wurde Christoph weniger stark nationalsozialistisch beeinflusst als die meisten seiner Altersgenossen und war deshalb viel besser in der Lage, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln 15.

Studium, Familie und Religion

Nach dem Arbeits- und Militärdienst bei der Luftwaffe in Oberschleißheim begann er im Sommer 1939 sein Medizinstudium in München, wo er im Haus seines Freundes Alexander Schmorell Hans Scholl kennenlernte. Mit 21 Jahren heiratete er im Jahre 1940 Herta Dohrn, mit welcher er drei Kinder hatte. Auch seine Frau stammte aus einer regimekritischen Familie: Ihre beiden Brüder hatten schon früh vor der Gestapo fliehen müssen und ihr Vater Harald wurde kurz vor Ende des Krieges, am 25. April 1945, von den Nazis erschossen 16.

Später musste Christoph die Universität wechseln und setzte sein Studium in Strassburg und ab 1942 in Innsbruck fort. Vor allem in Innsbruck war es schwer für ihn, denn er vermisste seine Frau und seine Freunde, vor allem Alexander Schmorell und Hans Scholl, beides Weggefährten bei der Widerstandsbewegung der „Weissen Rose“. Er hielt deshalb den Kontakt zu seiner Familie und auch zu seinen Freunden aufrecht und nutzte jede Gelegenheit für ein Treffen. Christoph war ein Familienmensch, wie der Brief vom 18. Oktober 1942 an Hans Scholl bezeugt 17:

„(…) Ach Hans, wenn man so dasitzt, ein kleiner schaukelt im Wagen, der andere krabbelt einem auf den Schoss, dann geht einem das Herz auf und man zweifelt, ob man sich so viel Glück und Gnade verdient hat. Mit den Kindern zusammensein zu können ist ein so grosses Glück (…).“

Obwohl Christoph freireligiös von seinen Eltern erzogen wurde und nicht getauft war, ist seine Haltung zum Leben und zu den Ereignissen geprägt von einer starken christlichen Glaubensüberzeugung. Im Weihnachtsbrief vom 18. Dezember 1942  an seinen Halbbruder Dieter Sasse, der sich damals im Militärdienst befand, wird seine christliche Haltung deutlich und seine starke religiöse Motivation 18:

„(…) [Weihnachten] soll ein Freudenfest sein, an dem man voll Dankbarkeit der Güte des Schöpfers dankt, dass er uns Christus gesandt hat, durch den wir wissen, dass unser Leiden, unser Leben einen Sinn hat, der uns ein Leben vorgelitten hat aus reinster Güte, (…) der die Liebe predigte, die wahre Verbrüderung der Menschen. (…) Du siehst ja, wie weit man es durch Hass bringt und gebracht hat: Zerstörung, Blut und Tod, auch wird nichts Bleibendes und Gutes daraus. Was hat die Liebe dagegen geschaffen? (…) Sie ist das Band von Mensch zu Mensch, das alle Freude des Lebens erst möglich macht (…).”

Die Widerstandsbewegung „Die Weisse Rose“

Christophs frühe kritische Distanz zum Hitlerregime wurde bereits verdeutlicht. Diese Distanzierung vertiefte sich noch mehr, als er von den Euthanasie-Aktionen der Nazis in den Jahren 1939/1940 erfuhr, bei welchen lebensunwertes Leben in den Heil- und Pflegeanstalten mit Gas und Gift, verschönert mit dem Begriff des „leichten Todes“, beseitigt wurde. Seine Schwester Angelika hierzu: „Ich habe zunächst die ganze Abscheulichkeit des Geschehens nicht begriffen. Christel machte sie mir klar. Er zeigt mir, dass kein Mensch, gleichgültig unter welchen Bedingungen, berechtigt ist, Urteile zu fällen, die allein Gott vorbehalten sind. Niemand, so sagte er, kann wissen, was in der Seele eines Geisteskranken vorgeht. Niemand kann wissen, welches geheime innere Reifen aus Leid und Jammer erwachsen kann. Jedes Leben ist kostbar. Wir sind alle Gottes Kinder.“ 19

Anfangs 1941 lernte Christoph Hans Scholl durch seinen Freund Alexander Schmorell kennen. Trotz ihrer charakterlichen Unterschiede entstand eine feste Freundschaft. Bereits im Sommer 1942 verbreitete eine kleine Gruppe von Studenten unter dem Namen „Weisse Rose“ Flugblätter in Briefkästen einer ausgewählten intellektuellen Oberschicht, welche zum passiven Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus aufriefen. Die Medizinstudenten Hans Scholl und Alexander Schmorell bildeten den Kern dieser Gruppe 20.

Mitglieder der Widerstandsbewegung „Weiße Rose“: Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst vor der Abreise nach Russland am Ostbahnhof (v.l.n.r.). 1942. © George (Jürgen) Wittenstein / akg-images.

Christoph Probst stieß erst später zur Weißen Rose, da er nicht zur selben Studentenkompanie wie Hans Scholl und Alexander Schmorell gehörte. Die Mitglieder der Weissen Rose waren Studenten, die einem eher konservativ-bürgerlichen, aber christlich geprägten Elternhaus entstammten. Sie beschäftigen sich in ihrer Freizeit stark mit Literatur, Philosophie, Religion und Musik. Massgebenden Einfluss auf die Studenten der Weissen Rose übten in der aktiven Zeit vom Frühsommer 1942 bis Februar 1943 die beiden katholischen Publizisten Professor Carl Muth und Theodor Haecker aus, welche mit ihren Anregungen den Inhalt der ersten Flugblätter prägten 21. Nach Aussage von Inge Scholl, Schwester von Hans und Sophie Scholl, habe Haeckers wiederholte Klage, was jetzt die Juden zu leiden hätte, wäre ein Auftrag der Christen, „grossen Einfluss auf meine Geschwister und ihre Freunde, besonders auf Christoph Probst“, ausgeübt 22.

Im Herbst 1942 leisteten Alexander Schmorell und Hans Scholl Wehrdienst an der Ostfront und erlebten so hautnah die Grausamkeiten des Krieges, was dazu führte, dass der Widerstand nach ihrer Rückkehr im November 1942 verstärkt wurde. Die letzten beiden Flugblätter unterschieden sich stilistisch und inhaltlich deutlich von den ersten. Die Überschrift des 5. Blattes – „Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland“ – verdeutlicht diesen Wandel. Die Flugblätter sind politischer, mit einer klaren Sprache versehen und sprechen alle Bevölkerungsschichten, die Studenten aller Studienrichtungen an 23.

Besondere Bedeutung für Deutschland und die nachfolgenden Aktivitäten der „Weissen Rose“ erlangten die Vorkommnisse und Ereignisse an der Ostfront: Die Vernichtung der deutschen 6. Armee in Stalingrad Anfang 1943 gilt als Wendepunkt des Krieges und erschütterten erstmalig den Mythos Hitler und seine angebliche Unbesiegbarkeit 24.  Nach dem deutschen Angriff auf die Stadt im Spätsommer 1942 wurden im November 1942 über 230’000 Soldaten der deutschen Wehrmacht unter General Paulus und ihrer Verbündeten im November 1942 von der Roten Armee eingekesselt. Obwohl die Lage der nur unzureichend versorgten Soldaten im Kessel aussichtslos war, bestanden Hitler und die militärische Führung auf einer Fortführung der verlustreichen Kämpfe. Die meisten Soldaten stellten Ende Januar/Anfang Februar 1943 die Kampfhandlungen ein und gingen in Kriegsgefangenschaft, ohne dass es zu einer offiziellen Kapitulation kam. Von den rund 110’000 Soldaten der Wehrmacht und verbündeter Truppen, die in Gefangenschaft gerieten, kehrten nur rund 6’000 in die Heimat zurück 25.

Nach Bekanntwerden der Niederlage in Stalingrad mit dem für Deutschland verheerenden Ausgang intensivierten die Mitglieder der Widerstandsbewegung ihre Aktionen. Bei solchen teilweise lebensgefährlichen Aktivitäten der Gruppe sollte Christoph nach dem Willen seiner Freunde herausgehalten werden, d.h. sich nicht an der Vervielfältigung und Verteilung der Flugblätter beteiligen, um seine Frau und Kinder nicht zu gefährden. Er nahm jedoch sooft er konnte an den Treffen in München teil. Erst die aussichtslose Lage der deutschen Armee vor Stalingrad brachte ihn dazu, diese Zurückhaltung endgültig aufzugeben und auf Bitte von Hans Scholl ein Flugblatt zu entwerfen. Christoph machte darin unmissverständlich klar, dass Hitler und sein Regime fallen müssen, damit Deutschland weiterlebe 26.

Das sechste und letzte Flugblatt wurde am 18. Februar 1943 im Treppenhaus des Hauptgebäudes der Münchner Universität verteilt. Hierbei wurden Hans und seine Schwester Sophie Scholl beobachtet, verhaftet und von der Gestapo verhört 27.  Bei der Verhaftung hatte Hans Scholl den Entwurf von Christophs Flugblatt in seiner Jackentasche. Er wollte das Flugblatt vernichten und zerriss es in Fetzen, die er aber nicht mehr beseitigen konnte. Die Gestapo wurde der Papierreste habhaft und fand heraus, dass Christoph der Verfasser dieses Entwurfes war. Am 19. Februar 1943 wurde Christoph in Innsbruck verhaftet und nach München überstellt 28.

Prozess und Hinrichtung

Nach Christophs Überstellung nach München folgten Verhöre bei der Gestapo. In diesen Verhören und der Gerichtsverhandlung bat er um Gnade wegen seiner drei kleinen Kinder im Alter von drei Jahren, zwei Jahren und vier Wochen und wegen seiner Frau, die am Kindbettfieber litt, um so ein für ihn (und damit auch für seine Familie) günstiges Urteil zu bewirken. Auch Hans Scholl versuchte seinen Freund Christoph vor Gericht zu retten. Doch ohne Erfolg 29.

Nach den polizeilichen Untersuchungen fand am 22. Februar 1943 der Prozess gegen die Geschwister Scholl und Christoph statt. Für die Machthaber des Dritten Reichs hatte die Weisse Rose wohl deshalb eine so grosse Bedeutung, weil hier junge Menschen, die durch die Hitlerjugend und die Wehrmacht hätten geformt werden sollen, sich organisiert und mit einer gewissen Wirkung in der Gesellschaft dem Regime widersetzten. Die Bedeutung dieses Prozesses für die politische Führung ist auch daran erkennbar, dass für diesen Prozess der Vorsitzende des Volksgerichtshofs, der berüchtigte Roland Freisler, eigens für diesen Prozess von Berlin nach München kam 30. Die Urteilsbegründung für die Geschwister Scholl und Christoph lautete:

„Die Angeklagten haben im Kriege in Flugblättern zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Lebensform unseres Volkes aufgerufen, defaitistische Gedanken propagiert und den Führer aufs gemeinste beschimpft und dadurch den Feind des Reiches begünstigt und unsere Wehrkraft zersetzt. Sie werden deshalb mit dem Tod bestraft (…)“ 31.

Noch am gleichen Tag sollten Christoph und die Geschwister Scholl unter dem Fallbeil in München-Stadelheim den Tod erleiden 32. Christoph  hatte nicht mehr die Möglichkeit, sich von seinen Angehörigen zu verabschieden. Seine Abschiedsbriefe an seine Frau, Mutter und Schwester wurden nicht ausgehändigt; nur der Einblick in die Briefe wurde ihnen gestattet. Das Regime fürchtete sich vor negativer Propaganawirkung. „Ein Staat trotzte der ganzen Welt und hatte Angst vor der eigenen Jugend.“ 33 So schrieben die Angehörigen sofort nieder, was sie behalten hatten und bewahrten so diese letzten Worte. Seine Mutter erinnert sich wie folgt:

„Ich danke dir, dass du mir das Leben gegeben hast. Wenn ich es recht bedenke, so war es ein einziger Weg zu Gott (…). Mein einziger Kummer ist, dass ich euch Schmerz bereiten muss. Trauert nicht zu sehr um mich, denn das würde mir in der Ewigkeit Schmerz bereiten.

Eben erfahre ich, dass ich nur noch eine Stunde Zeit habe. Ich werde jetzt die heilige Taufe und Kommunion empfangen. Wenn ich keinen Brief mehr schreiben kann, grüsse alle Lieben von mir. Sag ihnen, dass mein Sterben leicht und freudig war”.

An seine Schwester schrieb er:

„Ich habe nicht gewusst, dass Sterben so leicht ist. Ich sterbe ganz ohne Hassgefühle. Bald bin ich noch viel näher bei euch als je. Ich werde euch einen herrlichen Empfang bereiten.“

Kurz vor seinem Tod empfing Christoph die Taufe und die heilige Kommunion durch den katholischen Gefängnisgeistlichen. Diese Aussagen machen deutlich, warum Christoph in die Märtyrerliste der katholischen Kirche aufgenommen worden ist 34.

Die letzte amtliche Nachricht über Christoph finden wir im Totenbuch der Strafanstalt München-Stadelheim unter dem 23. Februar 1943:

„Probst, Christoph, geb. 06.11.1919, Murnau,

Student der Med.;

Ggl. [gottgläubig];

[Zugang:] 22.2.1943

[Abgang:] 22. 2.1943 Enthauptung nachm. 5h;

V.G.H. [Volksgerichtshof] Berlin

  1. Zt. München, Todesstrafe, Polit.“ 35

Angelika Probst würdigt in der frühen Nachkriegszeit nach 1945 ihren Bruder Christoph wie folgt:

„Sein ganzes Menschsein, bis in die kleinsten Äusserungen seines Wesens, war Ausdruck des Lebendig-Guten, Liebreichen und Wahrhaftigen (…). Diese Geschlossenheit seines Wesens verlieh seinen Worten eine mitreissende Einprägsamkeit und Überzeugungskraft und manchmal, wenn er sprach, (…) Letztgültiges zu sagen, berührte uns fast wie ein Hauch die Ahnung seines frühen Todes.“ 36

Diese Worte dürfen nicht dazu führen, Christoph Probst als unerreichbaren Helden, als Übermensch erscheinen zu lassen. Im Gegenteil. Christoph war in vieler Hinsicht ein ganz normaler, junger Student wie viele andere damals und heute: Sein Leben war geprägt von der Liebe und Fürsorge zu seiner Frau und Kinder, er ging begeistert in die Berge und genoss die Natur und pflegte die Freundschaft zu Hans und Alexander. Darüber hinaus war er ein Mensch mit „mehr oder weniger kleinen oder grossen Schwächen, Fehlern, Mängeln und Unzulänglichkeiten in dieser oder jener Hinsicht“ 37. Auch wenn Christoph mit Überzeung und Tatendrang sich gegen das Unrechtsregime der Nazis einsetzte, war er kein typischer Rebell, kein aufbegehrender Widerstandskämpfer, sondern jemand, der die Harmonie sehr schätzte 38. Doch zeichnet ihn eines besonders aus: Er stand viel  konsequenter als die meisten seiner Zeit zu seiner Überzeugung. Der französische Historiker Joseph Rovan sagt es treffend 39:

„Aber immer wieder hat es Menschen gegeben, die nein gesagt haben, manchmal ganz allein, manchmal zusammen mit anderen, und dieser Verbrecherstaat hat sich gegen sie zur Wehr setzen müssen“ (…), indem er Christoph Probst sowie die Geschwister Scholl deshalb hinrichten liess.

Grabanlage von Christoph Probst und den Geschwistern Scholl auf  dem Friedhof Perlacher Forst in München. © Wikimedia Commons

Christoph wurde mit Hans und Sophie Scholl auf dem Friedhof am Perlacher Forst in München beigesetzt, wenige Monate vor ihren Weggefährten in der Widerstandsbewegung der Weissen Rose Willi Graf, Alexander Schmorell und Kurt Huber. Als Aufrechte bleiben sie der Nachwelt in Erinnerung und bezeugen mit ihrem Mut und ihrer Tapferkeit, dass es immer wieder Menschen gegeben hat, die Zivilcourage zeigten und ihr Leben aufs Spiel setzten im Kampf gegen ein übermächtiges und unmenschliches Regime.

Abbildung auf der Titelseite
  • Christoph Probst. Student der Medizin, 1940. © George (Jürgen) Wittenstein / akg-images.
Anmerkungen

1 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 39.

2 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 40.

3 Vgl. Moll, Die Schulzeit von Christoph Probst, 61.

4/5/6 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 40.

7 Vgl. Moll, Die Schulzeit von Christoph Probst, 69 f.

8 Vgl. Moll, Die Schulzeit von Christoph Probst, 77.

9 Vgl. Brief von Christoph Probst an Elise Probst vom 13. Juni 1936.

10 Vgl. Moll, Die Schulzeit von Christoph Probst, 71 f.

11Vgl. Brief Christoph Probst an Elise Probst vom 08. November 1936.

12/13 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 42.

14 Vgl. Moll, Die Schulzeit von Christoph Probst, 72.

15 Vgl. Moll, Die Schulzeit von Christoph Probst, 77.

16 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 43.

17 Vgl. Brief von Christoph Probst an Hans Scholl vom 18. Oktober 1942.

18 Vgl. Brief von Christoph Probst an seinen Halbbruder Dieter Sasse vom 18. Dezember 1942.

19 Vgl. Hanser, Deutschland zuliebe, 131.

20/21 Vgl. Mayr, Weisse Rose, 17.

22 Vgl. Steffahn, Die Weisse Rose, 66.

23 Vgl. Mayr, Weisse Rose, 18.

24 Vgl. Moll, Alexander Schmorell und Christoph Probst, 230.

25 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Stalingrad.

26 Vgl. Flugblattentwurf (Anhang 2).

27 Vgl. Mayr, Weisse Rose, 18.

28 Vgl. Steffahn, Die Weisse Rose, 106 f.

29 Vgl. Steffahn, Die Weisse Rose, 114.

30 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 48.

31 Vgl. Urteil gegen Hans Scholl u.a., 22. Februar 1943, BArch ZC 13267/ Bd.1, S. 58.

32 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 49.

33 Vgl. Steffahn, Die Weisse Rose, 114.

34 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 49.

35 Vgl. Totenbuch der Strafanstalt München-Stadelheim.

36 Vgl. Jens, Hans Scholl, Sophie Scholl, 360.

37 Vgl. Knoop, Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung, 86.

38 Vgl. Schubert, Das Leben eines Aufrechten, 50.

39 Vgl. Rovan, Es hat in Deutschland Leute gegeben, die Nein gesagt haben, 165.

Verwendete Literatur
  • Christoph-Probst-Gymnasium Gilching, (Hg.): „… damit Deutschland weiterlebt“, Gilching 2000.
  • Hanser, Richard: Deutschland zuliebe. Leben und Sterben der Geschwister Scholl. Die Geschichte der Weissen Rose, München 1982.
  • Jens, Inge (Hg.): Hans Scholl, Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt/M. 1984.
  • Knoop-Graf, Anneliese: Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung – Willi Graf und die Weisse Rose, Vortrag, gehalten am 9.10.1991 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, 1991.
  • Mayr, Monika: Weisse Rose, in: Christoph-Probst-Gymnasium Gilching (Hg.), „… damit Deutschland weiterlebt“, Gilching 2000.
  • Moll, Christiane: Die Schulzeit von Christoph Probst in den Landerziehungsheimen Marquartstein und Schondorf im Spiegel seiner Briefe, in: Christoph-Probst-Gymnasium Gilching (Hg.), „… damit Deutschland weiterlebt“, Gilching 2000.
  • Moll, Christiane (Hg.): Alexander Schmorell und Christoph Probst. Gesammelte Briefe, Berlin 2011.
  • Rovan, Joseph: Es hat in Deutschland Leute gegeben, die „Nein“ gesagt haben. Rede zur Namensgebung des Christoph-Probst-Gymnasiums am 16.2.1993, in: Christoph-Probst-Gymnasium Gilching (Hg.), „… damit Deutschland weiterlebt“, Gilching 2000.
  • Schubert, Peter: Das Leben eines Aufrechten, in: Christoph-Probst-Gymnasium Gilching (Hg.), „… damit Deutschland weiterlebt“, Gilching 2000.
  • Steffahn, Harald: Die Weisse Rose, Reinbek bei Hamburg 2011.
  • http://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Stalingrad.

Webseite: http://www.christoph-probst-gymnasium.de/

Anhang 1: Lebensdaten von Christoph Probst
  • 1919 (06. November): Geboren in Murnau/Deutschland als Sohn von Hermann und Katharina Probst, geb. von der Bank; Vater ist promovierter Chemiker und Privatgelehrter, Mutter ist Lehrerin;
  • 1925: Trennung der Eltern, von da an häufige Wohnortswechsel; teilweise bei Mutter, teilweise bei Vater;
  • 1930-32: Besuch des Neuen Gymnasiums in Nürnberg;
  • 1932-1935: Besuch des Landheims Marquartstein;
  • 1935-36: Besuch des Neues Regionalgymnasiums in München;
  • 1936-1937: Besuch des Landheims Schondorf und Beginn der Freundschaft mit Alexander Schmorell;
  • 1936 (Mai): Unerwarteter Selbstmord seines Vaters;
  • 1937-1939: Arbeits- und Militärdienst in Oberschleissheim;
  • 1939 (Sommer): Beginn des Medizinstudiums in München mit Wechsel nach Strassburg und Innsbruck;
  • 1940: Heirat mit Herta Dohrn;
  • 1940 (Juni): Geburt von Sohn Michael;
  • 1941 (Frühjahr): Erster Kontakt mit Hans Scholl;
  • 1941-42: Gründung der Widerstandsbewegung „Weisse Rose“, regelmässige Treffen unter den Widerstandskämpfern/Freunden mit den Mentoren Carl Muth und Theodor Haecker und erste Aktivitäten;
  • 1941 (Dezember): Geburt von Sohn Vincent;
  • 1942 (Sommer): Verteilung der ersten Flugblätter durch „Weisse Rose“;
  • 1943 (Januar): Geburt von Tochter Katja;
  • 1943 (Februar): Niederlage Deutschlands bei Stalingrad, Kriegswende.
  • 1943 (18. Februar): Verhaftung der Geschwister Scholl bei Flugblattverteilaktion in der Universität München;
  • 1943 (19. Februar): Verhaftung von Christoph Probst in Innsbruck und Überstellung nach München;
  • 1943 (22. Februar): Prozess und Hinrichtung der Geschwister Scholl und Christoph Probst durch das Fallbeil.
Anhang 2: Flugblattentwurf Christoph Probst

Aufzeichnung des Flugblattentwurfs durch Christoph Probst in der Gestapo-Haft in München, 21. Februar 1943, in: Christoph-Probst-Gymnasium (Hg.), “…damit Deutschland weiterlebt”, Gilching 2000, 110-111.